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Drogenpolitische Szenarien

Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission


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Szenario 3:   Repressiv orientierte Drogenpolitik (Szenario »Repression«)

 

A.   Kurzbeschreibung
Dieses Szenario stellt die Gefahr der Selbst- und Fremdgefährdung des Menschen durch bestimmte Verhaltensweisen in den Vordergrund. Illegale Drogen werden als fremde, gesundheitsgefährdende und in unserer Kultur nicht tolerierte Substanzen gesehen, deren Handhabung individuell nicht beherrschbar ist. Das Schwergewicht der drogenpolitischen Massnahmen liegt darum in der konsequenten Bekämpfung jeder Form von Konsum und Handel mit illegalen Drogen. Die Abhängigen werden als in ihrer Willens- und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt verstanden. Sie müssen auf jeden Fall – auch mit Zwangsmassnahmen – zur Abstinenz geführt werden.

 

 

B.   Elemente

Ziele / Grundwerte
Das Ziel dieses Szenarios ist eine drogenfreie Gesellschaft. Vom Individuum wird erwartet, dass es bereit und fähig ist, unter allen Umständen auf den Genuss von Drogen zu verzichten. Wer dazu nicht willens oder fähig ist, wird vom Staat mit Hilfe konsequent angewandter Sanktionen dazu gezwungen. Drogenkonsum ist ausdrücklich nicht Teil des gesellschaftlichen Lebens. Ein weiteres Schwergewicht der drogenpolitischen Massnahmen liegt bei der massiven Bekämpfung des Angebotes.


Prävention
Die Prävention konzentriert sich auf Information und Abschreckung. Der Konsum von Drogen wird als nicht tolerabel dargestellt.


Betreuung und Therapie
Staatliche ambulante und stationäre Therapieangebote auf ausschliesslich abstinenzorientierter Grundlage sind vorhanden. Im Falle fehlender Kooperation der abhängigen Person ist mit Zwangstherapie oder anderweitigem Freiheitsentzug zu rechnen. Substitutionsprogramme gibt es nicht.


Niederschwellige Hilfsangebote
Niederschwellige Hilfsangebote sind in diesem Szenario nicht vorgesehen.


Regulierung
Sowohl auf Seiten der Konsumenten wie auf Seiten des Handels werden die gesetzlichen Vorschriften konsequent und kompromisslos durchgesetzt. Es wird keine Unterscheidung zwischen den einzelnen illegalen Drogen vorgenommen. Eine zentrale Rolle kommt der Polizei zu, welche mit starker Präsenz jede Form von Konsum und Handel im Keime zu ersticken versucht.


Koordination
Da die Drogenpolitik vollständig von der repressiven Seite bestimmt wird, sind alle Massnahmen von vornherein aufeinander abgestimmt, so dass sich keine weiteren Koordinationsprobleme stellen.


Rolle des Staates
Die Drogenpolitik wird vollständig vom Staat bestimmt. Es besteht kein Spielraum für regionale Unterschiede. Private therapeutische Institutionen haben Platz, arbeiten aber ohne staatliche Unterstützung.


Aspekte der Finanzierung
Alle in diesem Szenario durchgeführten Massnahmen werden durch staatliche Quellen finanziert.

 

 

C.   Konsequenzen bei Anwendung des Szenarios in der Schweiz

Prävention
Die Prävention würde inhaltlich auf Information und Abschreckung reduziert.


Therapie
Das Therapieangebot müsste umstrukturiert werden. Freiwillige, diversifizierte Angebote würden eingeschränkt, Plätze für Zwangsentzug und Zwangstherapie würden ausgebaut. Die Möglichkeit, anstelle von Strafe in den Genuss einer therapeutischen Massnahme zu gelangen, würde nicht mehr oder nur in stark reduziertem Umfang bestehen. Programme mit Abgabe von Suchtersatzstoffen würden gestrichen.


Repression
Ein wesentlicher Ausbau im polizeilichen und im strafprozessualen Bereich wäre nötig, verbunden mit einem Abbau der individuellen Freiheitsrechte.


Niederschwellige Hilfsangebote
Bestehende Angebote in diesem Bereich müssten abgebaut und auf unmittelbar lebensrettende Sofortmassnahmen reduziert werden.


Public Health
Die Volksgesundheit wird indirekt durch die polizeilichen Massnahmen geschützt. Für Menschen, die trotzdem intravenös Drogen konsumieren, ist wegen fehlender Zugänglichkeit zu sterilem Injektionsmaterial die HlV-Prävention nicht gewährleistet.

 

Recht
Da das Schwergewicht auf repressiven Massnahmen liegt, ist eine Anpassung der 26 kantonalen Strafprozessordnungen, vorzugsweise aber die Schaffung einer einheitlichen schweizerischen Strafprozessordnung notwendig. In dieser Strafprozessordnung müssen Bestimmungen über verdeckte Ermittlung, technische Überwachung, Telefonkontrolle, Observation und Zeugenschutz enthalten sein. Die Betäubungsmitteldienste der 26 kantonalen Polizeikorps (städtische Polizeikorps nicht mitgerechnet) müssen national zentralisiert, mindestens aber koordiniert werden. Dafür müssen die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden.

Bei den Bestimmungen über die Geldwäscherei ist das gegenwärtige Melderecht der Bankinstitute durch eine Meldepflicht zu ersetzen. Zu prüfen wäre sodann die Umkehr der Beweislast bei grösseren Geldmengen. Das bedeutet konkret: Bei grösseren Geldmengen, deren Herkunft aus dem Rauschgifthandel vermutet wird, müssen nicht die Strafverfolgungsbehörden die illegale Herkunft beweisen, sondern die Personen, in deren Besitz oder Eigentum das Geld ist, die legale Herkunft desselben.

Im Betäubungsmittelgesetz müssten die Bestimmungen aufgehoben werden, die eine Substitutionsbehandlung ermöglichen. Die gesetzlichen Bestimmungen zur fürsorgerischen Freiheitsentziehung würden verschärft. Auf internationaler Ebene besteht kein Handlungsbedarf.


Ökonomie
Bei einer Einführung dieses Szenarios steigen die Kosten stark mit der Zunahme der Repression. Steigende Kosten für die Gesellschaft würden vor allem im Hinblick auf die Schaffung und den Betrieb von Zwangsentzugs- und Zwangstherapieplätzen entstehen. Aber auch die Zunahme des polizeilichen Personals und seiner Einsätze würden zu einer Vermehrung der Ausgaben führen. Zudem müsste mit den wirtschaftlichen Folgen eines mutmasslich zunehmend aggressiven Schwarzmarktes gerechnet werden. Dieses Szenario geht von einem abnehmenden Drogenkonsum aus; dies hätte sinkende Gesundheitskosten zur Folge. In der Gesamtbilanz wäre mit steigenden Gesamtkosten zu rechnen.

 

 

 

Szenario 4:   Auf eine suchtmittelfreie Gesellschaft ausgerichtete Drogenpolitik (Szenario »Suchtmittelfreie Gesellschaft«)

 

A.   Kurzbeschreibung
Dieses Szenario der generellen Minimalisierung jedes Suchtmittelgebrauchs beruht auf drei Elementen: dem Ideal einer suchtmittelfreien Gesellschaft, der Bekämpfung des illegalen Marktes und der Kontrolle des sozialen Umfeldes der Suchtmittel sowie als drittes Element der Verbreitung eines drogenablehnenden Bewusstseins in der Bevölkerung. Zwischen den verschiedenen Drogen werden keine Unterschiede gemacht, und die legalen Drogen werden zwar nicht verboten, aber in das gesundheitspolitische Ideal einer suchtmittelfreien Gesellschaft miteinbezogen. Die abhängige Person wird als in ihrer Willens- und Entscheidungsfreiheit eingeschränkt betrachtet und braucht deswegen – auch wenn sie dies nicht verlangt – eine Hilfestellung von Staat und Gesellschaft, um ihrer Abhängigkeit zu entkommen. Für Abhängige wird Verständnis aufgebracht, doch führt dies nicht zu Toleranz, sondern zur aktiven Intervention gegenüber einem Verhalten, das nicht akzeptiert wird.

 

 

B.   Elemente

Ziele / Grundwerte
Das Ziel ist eine suchtmittelfreie Gesellschaft. Angestrebt wird es in erster Linie mit Hilfe der Prävention durch das Stärken der Fähigkeiten vor allem Jugendlicher, Frustrationen besser auszuhalten. Die Widerstandsfähigkeit gegen Verführbarkeit (»Neinsagen-können«) wird gefördert. Gleichzeitig besteht eine breit verstandene staatliche Fürsorgepflicht. Der Drogenkonsum ist verpönt; Konsumierenden und Abhängigen werden vielfältige Gelegenheiten zur sozialen Integration angeboten, wenn sie auf den Konsum verzichten.


Prävention
Die Präventionsanstrengungen konzentrieren sich auf legale wie auf illegale Substanzen und werden in allen gesellschaftlichen Bereichen intensiv unternommen. Die Hauptaussage der Prävention besteht darin, dass der Konsum von Suchtmitteln unerwünscht ist. Die Prävention zielt auf die Stärkung der abstinenzorientierten Grundhaltung. Sie vermittelt sowohl ausführliche Informationen wie auch Programme zur Stärkung der Persönlichkeit und des Selbstbewusstseins Jugendlicher. Die Polizei beteiligt sich im Rahmen der Aufklärung über Suchtmittel auch an der Primärprävention vor allem in den Schulen.


Betreuung und Therapie
Die Therapie- und Betreuungsangebote sind abstinenzorientiert. Soziale Wiedereingliederungsmassnahmen (Wohnen und Arbeit) sind wichtige integrale Bestandteile sämtlicher Bemühungen.


Niederschwellige Hilfsangebote
Massnahmen der Überlebenshilfe sowie die niederschwellige Abgabe von Ersatzstoffen sind nicht ausgeschlossen, spielen in der Praxis jedoch kaum eine Rolle. Dagegen werden Drogenabhängige in aufsuchender Arbeit soweit wie möglich überzeugt, sich in abstinenzorientierte Entzugs- und Therapieprogramme zu begeben.


Regulierung
Dieses Szenario basiert auf einer integrierten sozialen Kontrolle, welche durch gesetzliche Massnahmen unterstützt wird. Der Staat übernimmt im Auftrag der Gesellschaft die Verantwortung dafür, Drogenabhängige in spezialisierten Therapieeinrichtungen unterzubringen. Polizeiliche Massnahmen konzentrieren sich nicht nur auf den illegalen Drogenhandel, sondern in gleicher Intensität auch auf den Drogenkonsum, der nicht akzeptiert wird.

Drogenabhängigen wird die Wahl zwischen Gefängnis und Therapie angeboten, soweit es die von ihnen begangenen Delikte zulassen. Ein besonderes Merkmal dieses Szenarios ist die Einrichtung von Therapiegefängnissen für Drogenabhängige.


Koordination
Die verschiedenen Bereiche der Drogenpolitik werden national einheitlich gehandhabt und sind aufeinander abgestimmt. Es findet eine laufende Koordination der Massnahmen statt. Zudem ist die Drogenpolitik einheitlich und kohärent in die gesamte Sozialpolitik integriert.


Rolle des Staates
Eines der Hauptcharakteristiken dieses Szenarios ist die starke staatliche Präsenz in allen Bereichen der Drogenpolitik. Der Staat übernimmt – wie auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen – eine fürsorgliche Funktion zugunsten seiner Bevölkerung. Mit diesem Staatsverständnis befasst er sich in der Drogenpolitik mit der Erstellung und Verbreitung von Präventionsprogrammen, der Abstimmung der sozialen und polizeilichen Massnahmen sowie der Konfliktregelung. Die hohe Regelungsdichte in den verschiedenen Bereichen bedingt neben dem ideellen auch ein hohes personelles Engagement des Staates.


Aspekte der Finanzierung
Der Staat investiert erhebliche Mittel in die verschiedenen Bereiche der Drogenpolitik. Sie können teilweise über die Besteuerung der legalen, reglementierten Substanzen wie Alkohol erhoben werden.

 

 

C.   Konsequenzen bei Anwendung des Szenarios in der Schweiz

Prävention
Sowohl die ursachen- wie die substanzorientierte Prävention müsste bezüglich legaler und illegaler Drogen wesentlich ausgebaut werden.


Therapie
Die abstinenzorientierten Programme müssten unter Einbezug von Institutionen für Zwangstherapien (Bereitstellung von Gefängnissen mit Entzugsstationen) ausgebaut werden. Auch die Möglichkeiten zur Früherfassung und Frühinterven- tion sowie Programme zur Wiedereingliederung wären verstärkt zu fördern.


Repression
Die repressiven Massnahmen müssten ausgebaut und mit den Institutionen der Drogenhilfe vernetzt werden. Dies setzt einen erhöhten finanziellen und personellen Aufwand voraus. Eine viel engere Koordination der repressiven Mittel mit denen der öffentlichen und privaten Therapie, Fürsorge und Sozialhilfe bildet ein zentrales Element dieses Szenarios. Die Massnahmen gegen den Drogenhandel müssten mit mindestens gleicher Intensität weitergeführt werden.


Niederschwellige Hilfsangebote
In diesem Bereich würde tendenziell ein Abbau stattfinden mit Konzentration auf lebensrettende Sofortmassnahmen mit nachfolgender Abstinenztherapie. Die Erhältlichkeit von sterilem Injektionsmaterial zur Prävention der HlV-Ausbreitung würde erschwert.


Public Health
Das Gefährdungspotential von Drogen aller Art wird in diesem Szenario hoch eingestuft. Die Mehrheit der Bevölkerung müsste diese Sichtweise teilen und sie durch eine aktive Kontrolle des eigenen Umfeldes unterstützen. Dies setzt gut funktionierende soziale Netze voraus, damit die soziale Kontrolle wahrgenommen werden kann. Im Bereich der illegalen Drogen würde eine starke Unterstützung durch gut ausgebaute polizeiliche Mittel erfolgen.


Recht
Wie in Szenario 2 interveniert auch in diesem Modell der Staat intensiv und ohne regionale Unterschiede auf den drei Ebenen Prävention, Therapie und Repression und zwar nötigenfalls auch gegen den Willen der Drogenabhängigen. Das bedeutet einmal, dass die fürsorgerische Freiheitsentziehung nicht erst bei Suchterkrankung angeordnet werden kann, sondern schon bei Suchtgefährdung. Weiter verpflichtet dieses Modell Eltern, Betreuer und Erzieher zur Intervention – nicht zur Strafanzeige – schon bei Verdacht auf eine Suchtgefährdung nach dem Vorbild von Schweden; dafür fehlt gegenwärtig die gesetzliche Grundlage. Konkret bedeutet dies, dass beispielsweise Lehrer oder Sozialarbeiter bei vermuteter Suchtgefährdung die erweiterte Kompetenz erhalten, den Betroffenen, dessen Erziehungsberechtigte und eventuell weitere wichtige Bezugspersonen (Vorgesetzte, Lehrmeister etc.) zu einem Gespräch vorzuladen. Folgerichtig erhalten sie auch das Recht, anschliessend bei den zuständigen Behörden Anträge zu stellen.

Die den Delinquentinnen und Delinquenten angebotene Wahl zwischen Strafvollzug und therapeutischer Massnahme benötigt im Grunde keine neuen -gesetzlichen Grundlagen. Der allerdings nur als Kann-Vorschrift formulierte Artikel 44 des Strafgesetzbuches (StGB) ermöglicht bereits heute dem Richter, unter bestimmten Voraussetzungen eine therapeutische Massnahme anzuordnen und eine Freiheitsstrafe aufzuschieben; bei Gelingen der Massnahme wird heute nach ständiger Praxis auf den nachträglichen Vollzug der Freiheitsstrafe verzichtet. Für eine konsequente Ausgestaltung einer regelrechten Wahlmöglichkeit der Verurteilten zwischen sofortigem Strafvollzug und Absolvierung einer Massnahme müssten Art. 43 und 44 StGB allerdings umformuliert werden.


Ökonomie
Gegenüber der bestehenden Drogenpolitik ist dieses Szenario mit einem nicht zu unterschätzenden finanziellen Aufwand verbunden. Die integrierten sozialen und polizeilichen Massnahmen haben in konzeptioneller wie in ausführender Hinsicht hohe Kosten zur Folge. Die Finanzierung könnte teilweise über eine höhere Steuerbelastung auf den legalen Substanzen erfolgen.

 


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