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Techno

Eine neue Kultur mit alten Traditionen


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oder
Vom Urkult zur Kultur
Drogen und Techno

von Hans Cousto

 

  1. Techno ist Ausdruck von Lebenslust

  1. Erhöhung der Lebensfreude durch Tanz, Ekstase und andere Lustbarkeiten

    1. Der religiöse Aspekt von Techno

    Technomusik ist vor allem geeignet, im Tanz Trancezustände und Ekstase hervorzurufen, doch ist Technomusik weit mehr, als gewöhnliche Tanzmusik. Wer gewillt und fähig ist, sich den Rhythmen und Schwingungen von Techno hinzugeben, dem bereitet Techno den Weg in völlig neue, den allermeisten Zeitgenossen bisher unbekannte Erlebnisdimensionen, die von zahlreichen Technoliebhabern durchaus mit religiösen Erfahrungen verglichen werden. Techno ermöglicht durch seine konsequente sequentielle Struktur nicht nur den Zugang zu Bereichen, die der materialistischen, naturwissenschaftlichen Denkweise verschlossen bleiben, wie dies zum Beispiel die mantrischen Gesänge der indischen und tibetischen Mönche auch ermöglichen, sondern auch den Zugang zu Erlebniswelten, die jenseits aller in der klassischen abendländischen Musikkultur und Kunst bisher bekannten Muster liegen.

    Techno ist eine Art multimedialer Kunst, wie etwa die Oper, nur mit dem gewichtigen Unterschied, daß die "Zuhörer" und "Zuschauer" das Kunstwerk nicht nur betrachten, sondern integrierter Bestandteil desselben sind. Das heißt, die Bühne und der Zuschauerraum sind voneinander nicht getrennt, die Besucher der Technoveranstaltung sind Teilnehmer und Teilhaber wie auch Mitgestalter der Party. Gemeinsam wird der Weg in den Bereich der Ekstase durchwandert – oder besser – durchtanzt.

    Der Plattenteller als Gebetsmühle, die Diskothek als Tempel, der DJ als Zeremonienmeister – das ist die Realität einer lebensbejahenden und dynamischen Jugend vor und nach der Jahrtausendwende. Für Leute, die es gewohnt sind, in konventionellen Denkmustern zu verweilen und mehr an der Vergangenheit zu hängen als im Hier und Jetzt zu leben, wie auch für einige "Softies" und "Schlaffies" der New-Age- und Esoterikbewegung mag dies wie Gotteslästerung klingen – doch für mich und die meisten meiner Freunde ist das einfach so! Der Beat und der Sound treiben einen auf die Tanzfläche und schon befindet man sich in einem ganz neuen Energiefeld, jenseits von Logik und Verstand, hüpfend und tanzend bis der Schweiß in großen Tropfen langsam auf der Haut herunterperlt, mit allen anderen im Einklang tanzend und tobend bis zur völligen Ekstase.

    Viele Liebhaber von Technoveranstaltungen besuchen diese regelmäßig, jeden Freitag, jeden Samstag und oft auch Sonntags, so wie einst viele gläubige Christen jeden Sonntag in die Kirche gingen. Vom Verhaltensmuster scheinen somit Technogänger (Raver) gewisse Ähnlichkeiten mit Kirchgänger zu haben. Nicht nur die Regelmäßigkeit zeigt eine Parallele auf, sondern auch das tragen besonderer Kleidung zu diesen Anlässen. Auch das gemeinsame Zelebrieren eines Rituals weist in diese Richtung. Im Techno-Tanztempel wird nicht moralisierend gepredigt, sondern gemeinsam gefeiert. Wem die heutige Kirche zu rational geworden ist, der kann im Techno-Tanztempel mystische, visionäre und ekstatische Erfahrungen mit anderen Menschen sammeln. So wie einst die Kirche für die meisten gläubigen Menschen ein Zentrum des gesellschaftlichen Lebens war, so ist heute der Techno-Tanz-Tempel der zentrale Treffpunkt der Technoliebhaber.

    Ekstatisches Erleben (Aussichherausgetretensein, religiöse Verzückung und rauschhafter Zustand, in dem der Mensch der Kontrolle des normalen Bewußtseins entzogen ist) ist Leitmotiv vieler Technoveranstaltungen. Es geht hier um mehr, als nur um Konsum, Freizeitgestaltung und Vergnügen. Die Teilnahme an einem Rave (engl. to rave = toben, rasen, hüpfen, tanzen) bedeutet für viele Technoliebhaber die Teilnahme an einer kulturellen und kultischen Handlung.

     

    1. Selbstfindung und die Suche nach Geborgenheit

    Jugendliche, aber auch ältere Menschen, wollen wissen, wer sie eigentlich sind. Sie suchen nach dem eigenen "Ich". Sie sind auf dem manchmal sehr langen und zuweilen dornigen Weg der Selbstfindung. Da das gemeinsame ekstatische Tanzen und Feiern auf Technoparties die Erlebnisintensität außerordentlich schnell steigern kann, nimmt man auch sich selbst als individuelle Person und als Teil einer Gesellschaft, schneller und intensiver wahr.

    Viele junge Menschen fühlen sich unverstanden und alleine gelassen. Die Teilnahme an Technoparties kann ihnen den Zugang zu Freundes- und anderen gleichaltrigen Gruppen erleichtern und dazu dienen, sich von den traditionellen Normen und Werten der Erwachsenen (die viele als falsch, verlogen und opportunistisch empfinden) abzugrenzen und bewußt gegen diese Muster zu protestieren. Der Besuch von Technoveranstaltungen kann für Jugendliche auch ein Mittel sein, belastende Alltags- und Streßsituationen bei der Bewältigung von Entwicklungsaufgaben besser aushalten zu können. In diesem Falle wird die Technoparty zur Erholung (Rekreation) aufgesucht.

    Gelingt es den Jugendlichen zum Beispiel nicht, sich in konstruktiver Weise vom Elternhaus zu lösen, kann ersatzweise das nicht eingelöste Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Freiheit durch übermäßiges Besuchen von Parties und Drogengebrauch kompensiert werden. Überbehütete Kinder (von Eltern, die sich der sukzessiven Loslösung der Kinder vom Elternhaus widersetzen) neigen überproportional zum Drogenmißbrauch und gelten mehr als andere als suchtgefährdet.

    In der modernen Industriegesellschaft wird der Mensch nach seiner Leistungsfähigkeit bewertet. Was zählt, ist seine Produktivität und Anpassungsfähigkeit. Der Mensch soll wie ein Zahnrad im großen Getriebe der auf Mehrwert ausgerichteten Wirtschaft funktionieren. Ein immer größer werdender Leistungsdruck macht sich überall bemerkbar. Dabei treten Private und persönliche Belange der einzelnen Menschen immer mehr in den Hintergrund. Dies gilt nicht zuletzt auch für das seelische Befinden der einzelnen Menschen. So suchen viele junge Menschen Geborgenheit, ja noch mehr, sie suchen einen Raum (Space), wo sie sich mit Gleichgesinnten austauschen können, wo sie andere Menschen finden, denen sie vertrauen können.

    Eine traurige, ja schmerzliche Tatsache ist, daß es heutzutage sehr viele Menschen gibt, die keinen einzigen Menschen, nicht einmal in ihrer eigenen Familie, kennen, dem sie wirklich vertrauen.

    Der wahre Grund, Technoveranstaltungen aufzusuchen, bedeutet für viele Menschen weit mehr, als nur einem Freizeitvergnügen nachzugehen. Der Rahmen scheint vielen geeignet, der zuweilen sehr lebensfeindlichen Umwelt zu entfliehen und neue soziale Kontakte und Erfahrungen zu suchen.

     

    1. Spaß muß sein

    Obwohl Technoparties zuweilen religiöse Merkmale aufweisen und einen therapeutischen Effekt haben, ist einer der Hauptgründe, solche Veranstaltungen zu besuchen, der Spaß, den man dabei hat. Im berauschten Zustand geile Musik zu hören und dabei zu tanzen, das macht einfach Spaß.

    Rhythmus und Klang in phantasievolle Bewegungen umzusetzen, das macht Spaß, besonders, weil es beim "Technotanzstil" keine feste Regeln gibt, an die man sich halten muß, wie zum Beispiel beim Walzer, Tango, Stepp, etc. Trotzdem erkennt man den geübten Partygänger und leidenschaftlichen Raver sofort an seinem Tanzstil, da nicht nur der ganze Bewegungsablauf, sondern auch die unverkennbare Mimik von der Musik deutlich geprägt wird. Das nicht selten zu beobachtende Lächeln beim Tanzen zeigt deutlich, daß viele dabei viel Spaß haben.

    In den Chill-Out- und Ambient-Spaces, den Ruheräumen, in die man sich nach der Tanzekstase zurückziehen kann, kann man wahlweise entspannen und schlafen oder mit Freunden plaudern oder auch oft abstrakte Filme und verschiedenste Diaprojektionen betrachten. In einigen Clubs bieten diese Räume auch genügend Platz und die entsprechende Geborgenheit, so daß sie nicht nur zur verbalen Kommunikation genutzt werden können, sondern zum Liebesakt.

    Im Allgemeinen kann man in einem guten (richtigen) Technoclub völlig ungezwungen herumlungern, wild tanzen, an der Bar sitzen und sich mit Energydrinks stärken oder mit Freunden auf einem Sofa herumkuscheln. Ein echter Technoclub ist ein mit viel Technik ausgerüsteter und kunstvoll dekorierter Lebensraum, indem die kultische Tanzekstase mit allem, was dazugehört, zelebriert werden kann.

    Um den Zusammenhang von Technologie, Kult, Kunst, Kultur, und die damit verbundene soziale Integration der TeilnehmerInnen oder TeilhaberInnen besser zu verstehen, werden auf den folgenden Seiten systematisch die einzelnen Elemente und die kulturgeschichtlichen Entwicklungen von Techno analysiert und erläutert.


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