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Ecstasy als Genussmittel

Genuß, Kultur, Aufklärung und Bewußtsein - ein Referat von Hans Cousto


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Referat von Hans Cousto


vorgetragen am Mittwoch, 5. Februar. 1997 in Eppenheim/Taunus anläßlich des Fortbildungsseminars "Drogen- und AIDS-Prävention", in Zusammenarbeit organisiert von der Deutschen AIDS-HILFE e.V., Ref. Schwule und Drogen und EVE & RAVE e.V. Berlin

 

  1. Soziokulturelle Stellung des Ecstasydealers

  1. Seriöse und unseriöse Dealer

    Im allgemeinen ist der Drogenlieferant bei jungen Erstkonsumenten von Ecstasy die erste und oft auch einzige Informationsquelle bezüglich der Wirkung der Droge. Er ist praktisch der "Einweiser" zur ersten Ecstasysession, im günstigsten Fall ist er bei dieser ersten Erfahrung der "Neulinge" persönlich anwesend und kann bei Bedarf mit Rat und Tat zur Seite stehen. Seine Erfahrung und sein Einfühlungsvermögen ist oft von ausschlaggebender Bedeutung für die "Drogenkarriere" der jungen, noch unerfahrenen Einsteiger.

    Reife und verantwortungsbewußte Dealer sind die beste Gewähr für einen hohen und fundierten Informationsstand der Drogengebraucher und somit tragen sie wesentlich zur Minderung der Drogenproblematik bei. Werden nun dieser Dealer verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt, dann rücken neue Dealer nach, die vielleicht nicht so erfahren und bewandert in der Materie sind. Je mehr alteingesessene Dealer verhaftet werden, desto mehr rücken unerfahrene Jungdealer mit weniger Sachkenntnis nach, was in der Folge zu einem deutlichen Informationsdefizit in der Gruppe der Drogenkonsumenten führt und somit zur Erhöhung der Wahrscheinlichkeit von akut auftretenden Problemen.

    Ein weiteres Problem ist das Image des Dealers, das in Jahrzehnten dem Bürgertum mittels billiger Vorabendserien vermittelt wird: Geldgierige und Gefühlskalte Gestalten repräsentieren in diesen Filmen die Funktion des Dealers. Das macht Schule. Wird ein Dealer verhaftet, dann treten die Personen auf das Parkett der Drogenhandelsszene, die das Gefühl haben, sie hätten das Zeug, um in diesem Geschäft Geld zu machen (Geldsüchtige). Dadurch verrohen die Sitten und Kriminalität macht sich breit. Das wäre in jedem anderen Dienstleistungsberuf genau so. Man stelle sich vor, der Arztberuf würde aus welchen Gründen auch immer kriminalisiert und alle Ärzte würden verhaftet. Geldgierige Scharlatane würden die Doktorszene erobern und die Bedürfnisse der Menschen ausnutzen um sich zu bereichern, würden Konkurrenten den Behörden verraten, ihre Familien erpressen und ähnliches mehr. Auf jeden Fall würde die Gesundheitskultur immens darunter leiden. Ein Hauch solcher Tendenzen kann man zum Beispiel in Ländern mit einem rigorosen Abtreibungsverbot beobachten. Fundamentalistische Verbote von Dienstleistungen, bei denen ein Bedarf in weiten Kreisen der Bevölkerung besteht, mehren den Schaden und mindern ihn nicht.

    Hier ist Aufklärung von Nöten, denn die meisten (Ecstasy-)Dealer entsprechen nicht dem Dealertyp, wie er im Fernsehen oft dargestellt wird, sondern sind selbst Drogengebraucher und kennen die Drogenkultur aus eigenem Erleben und sind darum auch in der Lage, die kulturellen Zusammenhänge von Droge, Ritus (Set und Setting) sowie die Nachbearbeitung der Drogenerfahrung zu vermitteln. Sie sind mehr oder weniger der Garant für einen kultivierten Umgang mit den entsprechenden Drogen. Geächtet, verunglimpft und gejagt von einer konservativen Bourgeoisie, können sie jedoch nur im Geheimen ihrer Berufung nachgehen und ihr Wissen nicht öffentlich an Schulen oder Universitäten weitergeben. Dadurch bleiben vielen Menschen die Wesensmerkmale einer heute gelebten Drogenkultur verborgen. Sie können nicht nachvollziehen, was andere bewegt, mit Drogen wie Ecstasy zu experimentieren oder diese gar zu rituellen Anlässen oder zum Genuß einzusetzen. Bei Bedarf sind sie darum auch nicht in der Lage, eventuelle psychische Nebenwirkungen zu verstehen oder gar helfend einzuwirken.

     

  2. Drogendealer als Vermittler kultureller Traditionen

    Je weniger eine Gesellschaft ihre Jugend mit sachlichen und glaubhaften Informationen zum Themenkreis Drogen, Drogengebrauch und Drogenkultur versorgt, desto mehr wird der Dealer als Übermittler kultureller Traditionen aufgewertet. So erfahren die jungen Haschischraucher von ihrem Dealer von den Riten des Chillumrauchens, vom Unterschied einer Wasserpfeife und einer Bong, vom Flash des Eimerrauchens oder vom Kick des Kawums, aber auch die Art und Weise der Pflege der Rauchgeräte lernen die jungen User zumeist von ihrem Dealer wie auch zum Beispiel, wie man eine Erdpfeife baut. Der erfahrene Haschischhändler kann auch seine Kundschaft beraten, welche Haschischsorten und Qualitäten für die verschiedenen Rauchzeremonien und für die verschiedenen Rauchgeräte am besten geeignet sind.

    Bei Ecstasy ist es ähnlich. Der erfahrene Dealer vermittelt eben nicht nur den "Stoff", sondern auch die dazugehörigen Verhaltensregeln. Er kann über die unterschiedlichen Wirkungen von Ecstasy berichten sowie von den verschiedenen Einsatzmöglichkeiten. Hat er (unter der Voraussetzung, daß er einen seriösen Lieferanten hat, der genau weis, was er verkauft) über Jahre hinweg eigene Erfahrungen mit MDMA, MDE und MBDB gemacht, dann kann er auch seine Klientel diesbezüglich aufklären und die subtilen Unterschiede der einzelnen Wirkstoffe erklären und erläutern. Bei psychoaktiven Substanzen aus der Gruppe der entaktogenen und empathogenen Stoffe, genauso wie bei den Psychedelika und entheogenen Drogen, gilt ganz besonders: je höher der Wissenstand der User ist, desto gezielter können die einzelnen Substanzen eingesetzt und miteinander kombiniert werden. Durch Vermeidung von Fehlern sinkt das Risiko und steigern sich die Möglichkeiten des Genusses.

    Ein Verkäufer von Hi-Fi-Anlagen (Hi-Fi = high-fidelity = hohe Treue), der selbst den Klang eines Orchesters nie gehört hat, kann nicht wirklich nachempfinden, ob eine Schallplatte oder CD auf der angebotenen Anlage wirklich den Originalklang in großer Treue (hier im Sinne von Ähnlichkeit) wiedergibt. So kann er auch niemals seine Kundschaft ehrlich und korrekt beraten und weis nicht, ob die Anlage dem Käufer letztendlich Ärger und Verdruß oder Freude und Genuß bereiten wird. Genauso kann ein Drogendealer, egal, ob es sich hier um einen Wein-, Haschisch- oder Ecstasyhändler handelt, seine Kundschaft nicht beraten, wenn er den Stoff und seine genußbringenden Eigenschaften nicht selbst kennt und eigene Erfahrungen damit gemacht hat, denn beim Genuß geht es um feinste Nuancen, bei der Droge selbst wie beim Set und Setting im Rahmen des Gebrauchs der Droge – für den süßen Portwein ein anderes Glas als für den trockenen Weißwein, für den erdigen roten Burgunder ein anderes Glas als für den prickelnden Schaumwein. Beim Haschisch ist es ähnlich, Zero-Zero aus Marokko aus der Purpfeife, grüner Türke aus einem schlanken Joint, fetter schwarzer Afgahne aus der Wasserpfeife, feiner würziger Chitral aus Pakistan aus der Hucka, vollmundiger rassiger Kaschmir aus dem Chillum, etc. Auch für verschiedene "Ecstasy-Sorten" (MDMA, MDE, MBDB) gibt es verschiedene optimale Sets und Settings. In welchen Situationen welches Ecstasy und in welcher Dosierung als therapeutisches Hilfsmittel, als Tanzdroge oder zum Opernbesuch eingesetzt wird und was dabei zu beachten ist, das kann man zwar inzwischen in Fachbüchern nachlesen, doch zumeist erfährt der User von seinem Dealer, wie er am besten mit dem Stoff umzugehen hat, damit er denselben wirklich bewußt genießen kann und am Ende nicht mit Verdruß, sondern eben mit Genuß erfüllt ist.


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