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Ecstasy als Genussmittel

Genuß, Kultur, Aufklärung und Bewußtsein - ein Referat von Hans Cousto


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Referat von Hans Cousto


vorgetragen am Mittwoch, 5. Februar. 1997 in Eppenheim/Taunus anläßlich des Fortbildungsseminars "Drogen- und AIDS-Prävention", in Zusammenarbeit organisiert von der Deutschen AIDS-HILFE e.V., Ref. Schwule und Drogen und EVE & RAVE e.V. Berlin

 

  1. Ecstasy als Freizeitdroge heute

  1. Die Konsumenten

    Gemäß Untersuchungen des Münchner Instituts für Therapieforschung (IFT) und des Münchner Max Planck Instituts für Psychiatrie (Arbeitsgruppe für klinische Psychologie und Epidemiologie) gibt es in Deutschland (1995) mehr als ½ Million Ecstasykonsumenten, das sind weit mehr als 0,5% der Wohnbevölkerung. In der Altersgruppe der 14- bis 25jährigen geben 4% der Männer und 2,3% der Frauen an, Erfahrungen mit Ecstasy zu haben, das heißt, 3,2% der Jugendlichen haben bereits Bekanntschaft mit Ecstasy gemacht, in der Altersgruppe zwischen 22 und 24 Jahren sind es sogar ganze 6%. Diese Zahlen stammen aus den Jahren 1994/1995. In der Zwischenzeit hat die Zahl der Ecstasykonsumenten weiter stark zugenommen. Gemäß Tagesspiegel vom 29.08.1996 haben im Westteil Berlins bereits 15% der 15- bis 30jährigen Erfahrungen mit Ecstasy, im Ostteil der Stadt sind es 3,7%.

    Von den geschätzten 540 000 Ecstasykonsumenten nehmen 80% häufiger als einmal im Monat eine Pille, das heißt, es gibt ca. 430 000 Ecstasydauerkonsumenten in Deutschland, das sind mehr als 0,5% der Wohnbevölkerung. Die Befragungen fanden in den Jahren 1994/1995 statt.

    Ecstasy hat heute bei einem Teil der jüngeren Wohnbevölkerung bereits den Status eines Genußmittels und wird zu bestimmten Anlässen auch regelmäßig konsumiert. Der Ecstasygebrauch hat für viele Menschen bereits "Normalität" erlangt. Das Verbot hatte so gut wie keine aufhaltende Wirkung gezeigt und hat die Menschen vom Konsum nicht abgehalten. Am Beispiel von Ecstasy kann sich jedermann ein Bild vom Nonsens der heute praktizierten Betäubungsmittelpolitik machen, die vorgibt, die Verfügbarkeit und den Konsum von Drogen einzudämmen oder verhindern zu wollen.

    In einer Welt, in der der Mensch von Politik und Wirtschaft immer mehr nur noch als lebende, Mehrwert schaffende Produktionseinheit betrachtet wird und der Kultur und Bildung immer weniger Bedeutung beigemessen wird, ist es nicht verwunderlich, daß immer Menschen zu Genußmittel greifen, um dem grauen Alltag für ein paar Stunden zu entfliehen. So sind gemäß der oben aufgeführten Untersuchung bereits zehn Prozent der Jungen und drei Prozent der Mädchen in der Altersgruppe der 18- bis 19jährigen als alkoholabhängig einzustufen.

    In Deutschland scheint der kulturelle Entfremdungsprozeß bezüglich des bewußten Genießens auch wesentlich stärker ausgeprägt zu sein als zum Beispiel in den Niederlanden. Dies zeigte eine Befragung in der deutsch-holländischen Grenzregion, in der auf deutscher Seite 624 Erwachsene zwischen 19 und 29 Jahren, auf holländischer Seite 567 Erwachsene in der gleichen Altersgruppe nach ihrem Drogen- und Alkoholkonsum befragt wurden. Im Vergleich zu ihren holländischen Nachbarn sind deutsche Erwachsene viel häufiger und schwerer betrunken. Sie trinken öfter und auffällig mehr Alkohol. Die Prozentzahl holländischer und deutscher EinwohnerInnen, die im Verlaufe der letzten 30 Tage einen Vollrausch hatten, ist in Deutschland dreimal (Männer) bis fünfmal (Frauen) so groß wie in den Niederlanden (NL: Männer: 17%, Frauen:5%; D: Männer: 52%, Frauen: 24%). Quelle: TAZ, 2.09.1996. Diese Zahlen zeigen deutlich, daß Alkohol in weiten Kreisen der Bevölkerung nicht nur als Genußmittel, sondern als Rauschmittel ge- respektive mißbraucht wird.

    Sicherlich ist es legitim, hin und wieder einen Vollrausch zu haben, und manche können diesen auch genießen, doch die Häufigkeit stimmt nachdenklich, da jeder Vollrausch das Absterben zahlreicher Gehirnzellen zur Folge hat. Alkohol tötet Gehirn, bei Ecstasy (MDMA) streiten sich die gelehrten Wissenschaftler noch darüber, ob diese Substanz bestimmte Hirnregionen dauerhaft schädigt, oder ob diese sich auch nach Dauerkonsum auf hohem Niveau wieder regenerieren. Bei Alkohol, wie auch bei Ecstasy und allen anderen Drogen gilt nach wie vor der berühmte Satz des Arztes und Naturphilosophen Paracelsus (1493-1541):

    "Alle Dinge sind Gift und nichts ist ohne Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist."

     

  2. Kulturbewußtsein, Verantwortung und Aufklärung

    Ecstasy wird bekanntlich häufig in der Technoszene konsumiert, jedoch auch in der Therapeutenszene, im Rotlichtmilieu wie auch in den verschiedensten bürgerlichen Kreisen. Die Technoszene unterscheidet sich von den anderen Gruppierungen dahingehend, daß sie sich als kulturschaffende Szene versteht. Das soll nicht heißen, daß die anderen Szenen nicht kulturschaffend seien, sondern es geht hier um das Selbstverständnis sich als kulturschaffend zu fühlen und zu empfinden. Darum ist es auch nicht verwunderlich, daß die meisten Aufklärungskampagnen bezüglich Ecstasy ihren Ursprung im Umfeld der Technoszene haben. So wurde bereits in den 80er Jahren in den Niederlanden die sogenannte "Safe House Campagne" ins Leben gerufen. Diese Initiative beschränkt sich nicht nur auf Aufklärung, was den Drogengebrauch anbelangt, sondern erforscht auch stets das Umfeld, in dem die Drogen genommen werden und gibt wertvolle Hinweise bezüglich der Gestaltung desselben für einen sicheren Umgang mit den Drogen. Nicht nur die Moleküle selbst, sondern – wie schon Tim Leary immer betonte – das "Set und Setting" sind maßgeblich für den angenehmen Genuß einer Droge verantwortlich.

    Mit dem Aufkommen der Technokultur in den Niederlanden bildeten sich dort verschiedene Gruppierungen aus der Szene, die sich um die Belange der anderen Szenemitglieder kümmerten und sich bemühten, allfälligen Problemsituationen entgegenzuwirken und die Szene vor Schaden zu bewahren. Auch in Deutschland bildeten sich ähnlich geartete Gruppierungen, doch im Gegensatz zu Deutschland, wo diese Gruppierungen von fundamentalistisch geprägten Regierungskreisen eher bekämpft als unterstützt wurden und werden, suchten die niederländischen Behörden nach Kooperationsmöglichkeiten und pragmatischen Methoden zur Effizienzsteigerung der angestrebten Ziele. An der Intensität, mit der in den Niederlanden die Technoszene einerseits erforscht, anderseits aber auch auf breiter Ebene beraten wurde und wird, kann man den Stellenwert des Kulturbewußtseins, der Tolerierung verschiedener Kulturströmungen und der Akzeptanz neuer gesellschaftlicher Werte im Nachbarland einschätzen. Die dortigen Institutionen und Behörden haben jedenfalls die Situation sehr früh erkannt, pragmatisch und konstruktiv reagiert und so der kulturschaffenden (Techno-)Jugend ein sehr gut funktionierendes Instrumentarium mit vielen Dienstleistungen bereitgestellt.

    Wie schon erwähnt, sind auch in Deutschland aus der Szene heraus verschiedene Gruppierungen entstanden, die sich intensiv mit Gebrauch, Set und Setting wie auch mit den Risiken und Nebenwirkungen von Partydrogen auseinandergesetzt haben und in der Folge auch verschiedene informative Publikationen herausgegeben haben. Ebenso haben sie in Zusammenarbeit mit Veranstaltern Informationsstände und Ruhezentren bei Raves und in Klubs organisiert. Eine dieser Gruppierungen ist "Eve & Rave", anfänglich in Berlin, inzwischen auch in Kassel, Köln, Münster und in der Schweiz aktiv. Der Verein Eve & Rave e.V. Berlin hat auch in Zusammenarbeit mit der Deutschen AIDS-Hilfe verschiedene Workshops und Seminare zur Fortbildung der eigenen Leute wie auch für Szenemultiplikatoren veranstaltet. Bei all diesen Veranstaltungen ging es nicht nur um den möglichst risikoarmen Gebrauch von Ecstasy und anderen Partydrogen, sondern generell um die Gestaltung von Technoveranstaltungen, damit die Gäste unter bestmöglichen Bedingungen feiern können.

    Bezeichnend in diesem Zusammenhang ist, daß "Eve & Rave" in erster Linie ein Verein "zur Förderung der Party- und Technokultur" und erst in zweiter Linie "zur Minderung der Drogenproblematik" ist. Der kulturelle Rahmen ist das "A und O" für die Minderung der Drogenproblematik. Werden jedoch die kulturellen Gegebenheiten beschnitten und die Wirkkreise eingeschränkt, wie zum Beispiel durch amtlich verfügte Klubschließungen, dann wird die Problematik nicht gemindert, sondern verschärft, denn eine fröhlich feiernde Partygemeinde läuft kaum Gefahr, süchtig zu werden, jedoch ein Haufen verstreuter frustrierter Raver, der nicht mehr weis, wohin er gehen kann, um seine kulturellen Interessen auszuleben, neigt viel mehr zu Flucht- und Suchtdrogen.

    Eine gut funktionierende soziale Infrastruktur in einer drogengebrauchenden Kulturgemeinde, wie die Technoszene eine darstellt, ist der beste Garant für eine relativ niedrige Zahl von Problemfällen und jede Zerstörung einer "Zelle" dieser Infrastruktur erhöht das Risiko für Problemsituationen. Die unter dem Aspekt der rechtlichen Vorschriften vorgenommen Klubschließungen haben nicht nur einen negativen Einfluß auf die kulturelle Situation in der Szene, sondern führen automatisch immer zu neuen Härtefällen durch die in der Folge entstehenden Fällen von sozialer Desintegration und Isolation einzelner Betroffener.

     

  3. Seriöse Aufklärung – Leitmotiv einer vernünftigen Drogenpolitik

    Glaubwürdigkeit ist die Grundvoraussetzung für die Akzeptanz von Informationen. Dies gilt besonders im Bereich der Drogenaufklärung. Leider glauben jedoch immer noch viele fundamentalistische Befürworter einer harten Repressionspolitik, daß sie mit übertriebenen Negativmeldungen oder gar völlig falschen Angaben Leute vom Drogenkonsum abhalten können. So kann man in einem Infoblatt der "Jungen Union Bayern" zum Thema Ecstasy (© Stephanie Gamm) zum Beispiel folgende Passage lesen:

    "Ecstasy wird in allen möglichen Formen und Farben gehandelt: rund, oval, eckig, gelb, rot, blau – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Und damit hat der Ecstasy-Konsument neben seinen gesundheitlichen Risiken ein weiteres: Wie erkennt er "echtes Ecstasy"? Denn über 90% der beschlagnahmten bunten Pillen enthalten kaum oder kein MDMA. Im Klartext: Hobby-Chemiker panschen in ihren Hinterhof-Waschküchen die unglaublichsten Mixturen zusammen, in denen von Coffein über LSD bis hin zu Rattengift und Hormonen alles mögliche Verwendung findet."

    [Originaltext Junge Union Bayern]

    Hier leistet die Junge Union eher einen Beitrag für die oft beklagte "Politikverdrossenheit" einer immer größer werdenden Anzahl von jungen Bürgerinnen und Bürger, denn jeder, der sich nur etwas intensiver mit der Materie beschäftigt hat, weis, daß was in dem Infoblatt steht, ein, wie man auf Bayerisch zu sagen pflegt, "völliger Schmarren" ist. Denn gemäß Angaben des Bundeskriminalblattes Nr. 178/95 enthalten 30% der beschlagnahmten Pillen ausschließlich MDMA, 36% MDE, 6% eine Mischung aus MDMA und MDE, so daß über 70% der beschlagnahmten Pillen nur die Ecstasywirkstoffe MDMA und/oder MDE enthalten. Gemäß Untersuchungen des Gerichtsmedizinischen Instituts der Humboldt-Universität in Berlin, das für "Eve & Rave" die Analysen der Ecstasyproben durchführte, enthielten die 1996 abgegebenen Proben mit 59% nur den Wirkstoff MDMA, 21% MDE und 11% eine Wirkstoffkombination aus MDMA und MDE, das heißt, über 90% enthielten nur die Ecstasy-Wirkstoffe MDMA und/oder MDE. Die Behauptung, daß über 90% der beschlagnahmten bunten Pillen kaum oder kein MDMA enthalten ist einfach falsch.

    Auch die Geschichte von den "Hobby-Chemikern" in den "Hinterhof-Waschküchen-Labors" ist eine Mär. Die meisten Ecstasy-Pillen werden absolut professionell hergestellt, wie die Analysen zeigen: etwa 1/3 aller der durch "Eve & Rave" zur Analytik weitergeleiteten Proben enthielten weniger als 0,05% herstellungsbedingte Verunreinigungen bezogen auf den Wirkstoffgehalt. In über 10% der Proben konnten überhaupt keine Verunreinigungen festgestellt werden, was den Rückschluß auf eine professionelle Produktion mit Industriestandard zuläßt. Der durchschnittliche Wirkstoffgehalt lag etwa bei 110 mg.

    Die Behauptung, daß in Ecstasypillen Rattengift beigemischt wird, geistert seit Jahren durch die Medien, doch weder in den Niederlanden, noch in Deutschland und der Schweiz wurde je eine Probe gefunden und untersucht, in der Rattengift nachgewiesen werden konnte.

    Ein Infoblatt, wie das der Jungen Union Bayern, ist als Information völlig unbrauchbar und dient sicherlich nicht zur Versachlichung der Drogendiskussion. Schade, daß vorsätzliches professionelles Verbreiten von Lügen nicht strafbar ist!

    Wesentlich glaubwürdiger ist da zum Beispiel die 20seitige Broschüre "Ecstasy und Techno" vom Bündnis 90/Die Grünen mit Informationen zur Wirkung, den gesundheitlichen Risiken und den juristischen Folgen des Ecstasy-Konsums sowie Forderungen zur Verbesserung der Situation der User von Partydrogen. Wie auch die 20seitige Broschüre "Zauberpilze bei uns", ebenfalls vom Bündnis 90 /Die Grünen herausgegeben, genießt diese Art von Aufklärung und Information in der Szene eine hohe Akzeptanz. Dies einerseits, weil jeder sofort merkt, daß hier nicht mit populistischen Sprüchen von absoluten Laien, sondern differenzierte Informationen von Sachkundigen vermittelt werden, insbesondere, weil nicht nur die Bereiche Pharmakologie, Gesundheit und Recht abgehandelt werden, sondern weil auch über Drogenkultur und Rituale Informationen zu finden sind (Bezugsquelle: Bündnis 90/Die Grünen, Geschäftsstelle, Oranienstraße 25, 10999 Berlin, Fax: 030-615 005-99).

    Das Bedürfnis nach sachlichen Informationen ist sehr groß, so waren die beiden oben beschriebenen Broschüren nach kurzer Zeit vergriffen und mußten nachgedruckt werden. Viele Raver sind wegen diesen Information zum ersten Mal in ihrem Leben in ein Büro einer politischen Partei gegangen, um sich dort mit diesen Broschüren einzudecken. Auch die "Party-Drogen-Broschüre" von Helmut Ahrens (herausgegeben von Eve & Rave) hat in der Szene einen hohen Akzeptanzgrad. In Berlin und Frankfurt am Main (wie auch bei Eve & Rave - Informationsveranstaltungen im ganzen Bundesgebiet und in Österreich und der Schweiz) wurden inzwischen weit über 200.000 Broschüren vornehmlich gezielt an ecstasykonsumierende Jugendliche abgegeben.

    Den Wert von Publikationen im Bereich Drogenaufklärung kann man gut messen an der Zahl der Rückfragen und an der Art der Fragen und deren Inhalt. Da "Eve & Rave" oft an Veranstaltungen in ganz Deutschland, aber auch in der Schweiz und Österreich sogenannte "vor Ort Arbeit" leistet, kann das Feedback gut analysiert werden. Hier kann ganz klar beobachtet werden, daß seriöse Informationen das Verhalten der User, also die Umgangsweise der Drogengebraucher mit Drogen deutlich positiv beeinflussen.


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