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Safer House- und Technoparties

Technoparty, Technokultur und Drogenprävention


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Referat von Hans Cousto

vorgetragen am Mittwoch, 25. 10. 1995
in der Landessportschule Lindow anläßlich des Technoworkshops der
Deutschen AIDS-HILFE e.V. und der EVE & RAVE FACTORY

 

 

Das Publikum

Den Beobachtungen zu Folge sind etwa 50% bis 60% der BesucherInnen an großen Raves, 75% in großen Clubs und weit über 90% in kleinen Clubs als richtige Raver zu betrachten, also als Menschen, die in erster Linie wegen des Tanzens zu House- und Technomusik an die Veranstaltungen kommen. Diese Menschen sind im allgemeinen auch Stammgäste auf den Parties und man kennt sie mehr und mehr. Die anderen sind seltene Partygänger, also Menschen, die eher zufällig auf eine solche Parties kommen oder die einfach einmal die House- und Technoszene kennen lernen wollen. Diese Menschen kann man gut von den echten Ravern unterscheiden, vor allem durch den Habitus auf dem Dancefloor.

Richtige Raver sind in Sachen Drogen (safer use) und Sex (safer sex) weit besser informiert als Zufallsgäste. Deshalb müssen die Informationsmaterialien sowohl für "Anfänger" wie auch für "Fortgeschrittene" bereitgehalten werden. Ebenso muß das Personal am Informationsstand entsprechend ausgebildet sein, damit es auf allgemeine, wie auch auf sehr differenzierte Fragen vorbereitet ist und entsprechend reagieren kann.

 

Der Service und die Problemfälle vor Ort

An sogenannten Safe House Technoparties gibt es immer einen Servicestand einer Beratungsstelle (zum Beispiel von Eve & Rave oder einer entsprechenden anderen Organisation wie beispielsweise "Testasy" in Hamburg), wo Ratsuchende sich informieren können, wo Hilfe angeboten wird, sei es aus psychischen (Angstzustände, Verwirrung, Depressionen) oder physischen (Körperverletzungen, Übelkeit) Gründen und wo auch Flyers (kleine Flugblätter) zu Themen wie: Safer Use von Drogen, allgemeine Gebrauchsinformationen zu Drogen, Warnungen vor schlechten Drogen und Drogenmischkonsum, Qualitätsprotokolle und Analysen von Drogen, Safer Sex, etc. abgegeben werden.
Als weiteres Angebot sollten immer Mineral- und Vitamindrinks, frisches Obst, Kondome und Gleitgel vorhanden sein.

Durchschnittlich kommen, außer fachlich interessierte Raver und solche, die Auskünfte über die Qualitäten von Drogen haben wollen, je nach größe der Veranstaltung, etwa eine bis zehn Personen mit Problemen an den Stand.

Die Großzahl der Probleme lassen sich vor Ort leicht regulieren. Etwa die Hälfte der Probleme sind rein körperlicher Natur: Verletzungen wegen Ungeschicklichkeit, Krämpfe wegen zu lagen Tanzens oder Augenprobleme wegen der schlechten, rauchigen Luft oder wegen den Nebelmaschinen. Ärger mit Türstehern am Eingang sind auch ein häufig vorkommender Anlaß, den Infostand aufzusuchen, um hier den angestauten Frust loszuwerden. Auch zuviel Alkohol ist ein Problem, betrifft aber bei weitem weniger die echten Raver als die Zufallsgäste. Erst an vierter Stelle kommen die eigentlichen Drogenprobleme der Raver. Diese werden zumeist durch Drogenmischkonsum ausgelöst und verursacht. Zumeist spielen Speed (Amphetamin und Metamphetamin), Kokain und Alkohol dabei die ausschlaggebende Rolle.

Die Anzahl der Raver, die durch stundenlanges Tanzen und habituellen Drogengebrauch an House- und Technoparties in Problemsituationen kommen, ist sehr gering. Bei guten Veranstaltungen mit mehr als 1.000 TeilnehmerInnen kommt es häufiger vor, daß nicht ein einziger Problemfall auftritt. Besonders Open-Air-Parties und sogenannte Goa-Parties sind hier zu erwähnen. Hier sind die Problemfälle äußerst selten. Erwähnenswert ist hier auch, daß illegale Raves (nicht angemeldete und somit auch nicht genehmigte Veranstaltungen) zu den sichersten Veranstaltungen zählen.

In großen, eher kommerziell ausgerichteten Clubs, sind die Problemfälle eher durchschnittlich, das heißt auf 1.000 BesucherInnen kommen etwa drei bis fünf Problemfälle, wobei hier die meisten vor Ort durch ein einfühlsames Gespräch, Verabreichung eines Mineral- oder Vitamindrinks oder auch einer Massage, gelöst werden können. Manchmal benötigen die BesucherInnen auch nur etwas Ruhe und Entspannung oder auch frische Luft. An Großveranstaltungen, wie zum Beispiel die Mayday, sind die Problemfälle häufiger. Dies liegt einerseits daran, daß hier die Zahl der nicht routinierten Raver wesentlich größer als im Durchschnitt ist, anderseits, daß die Stimmung öfters durch eine überdimensionierte Security oder auch durch intensive Polizeikontrollen (Leibesvisitationen) negativ beeinflußt wird. Hier kommen durch diese Maßnahmen, die eigentlich der Sicherheit dienen sollten, auch nüchterne Raver in Problemsituationen.

Generell wiegt die Zahl und Art der Problemfälle auf House- und Technoparties nicht die Zahl und Art der entsprechenden Werte bei Popkonzerten, Volksfesten in Bierzelten oder Fußballveranstaltungen auf. Dort sind weit mehr Problemfälle zu beklagen.

Die Behauptung, daß Raves, Techno- und Houseparties den Drogenkonsum anheizen, läßt sich mit Zahlen nicht bestätigen. Im Vergleich zu den Open-Air-Festivals in den frühen 70ger Jahren werden an House- und Technoparties nicht mehr Drogen konsumiert als seinerzeit an den Festivals, doch im Gegensatz zu den FestivalbesucherInnen in den 70ger Jahren, sind die Raver weit besser informiert, was die Wirkung und die gesundheitlichen Risiken beim Drogengebrauch anbelangt.

Eine besondere Problemgruppe sind arbeitslose und wohnungslose Jungraver, die von einer Veranstaltung zur nächsten gehen, dort ein paar Drogen verkaufen, damit sie den Eintritt, die Getränke und den eigenen Drogenkonsum bezahlen können. Diese junge Menschen, oft ohne feste soziale Bindungen, wohnen mal hier, mal dort, das heißt, bei anderen Ravern, bei Zufallsbekanntschaften oder eben in den Clubs der Szene, die für diese Menschen zu einer Art "Wohnung" oder "Heimat" geworden sind. Diese, zwar recht kleine Gruppe, die sozusagen durch alle "sozialen Netze" gefallen ist, braucht viel Aufmerksamkeit, Betreuung und Beratung. Hierzu ist sehr einfühlsames und gut ausgebildetes Personal von außerordentlicher Wichtigkeit, damit auch in Sachen Wohnung, Arbeit, Sozialhilfe, Versicherungen und auch in Rechtsangelegenheiten professionell beraten werden kann und somit auch eine vernünftige und konstruktive Hilfe gegeben werden kann.

 

Die Beratung für die Veranstalter

Die Beratung für eine Safer House Technoparty ist nicht nur auf die Beratung und Betreuung von Ravern beschränkt, sondern versteht sich auch als Dienstleistung für Veranstalter von House- und Technoparties und hilft ihnen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, damit die BesucherInnen sich wohl und sicher fühlen können und einen angenehmen Abend genießen können. Drogen spielen dabei eine untergeordnete Rolle.

Die Beratung betrifft alle Bereiche der Veranstaltung: Eingang und TürsteherInnen, Notausgänge, Toiletten, Bedienung und Angebot, Belüftung, Sitzgelegenheiten, Chill Out Space, etc.

Nur wenn alle Bereiche den Richtlinien einer Safer House Technoparty entsprechen, kann die Gewähr übernommen werden, daß die Raver an der Veranstaltung ohne erhöhtem Risiko fröhlich feiern können. Die Richtlinien sind vielfältiger Natur und müssen genau beachtet werden, da sonst mit einer Zunahme von Problemfällen zu rechnen ist.

 

Die Richtlinien

Die folgenden Richtlinien müssen eingehalten werden, damit eine Party den Safer House Kriteren entspricht und ein erfreulicher und sicherer Verlauf der Party gewährleistet ist:

  • Mindestens 1/4 der TürsteherInnen müssen Frauen sein
  • TürsteherInnen müssen über Drogen Bescheid wissen
  • Die Garderobe muß leicht zugänglich sein, keine Extrakosten
  • Lokal, Bar und Toiletten müssen stets sauber sein
  • Alkoholfreie Getränke müssen billiger sein als alkoholische
  • (Mineral-)Wasser muß gratis an der Bar abgegeben werden
  • Die Wartezeit an der Bar für Wasser und Säfte muß kurz sein
  • Belüftung muß funktionieren, es darf nicht zu kalt/heiß sein
  • Sound muß stimmen, sauber und präzise, aber nicht zu laut
  • Sicherheitsabstände von Hochtonlautsprechern muß gegeben sein
  • In der Nähe des Dancefloor müssen Sitzgelegenheiten sein
  • Großer Chill-Out-Space muß vorhanden sein, Ruhemöglichkeit
  • Es müssen genügend ruhige Ecken zum Reden vorhanden sein
  • Personal muß auf Notfälle vorbereitet (geschult) sein

Wenn ein Club oder Veranstalter alle die oben genannten Kriterien erfüllt, dann kann er seine Party zurecht als Safer House Technoparty ankündigen. Im Club oder auf dem Rave ist dann eine ruhige Ecke, wenn möglich mit einem kleinen Separatraum für vertrauliche Gespräche und Beratungen, zur Verfügung zu stellen, wo MitarbeiterInnen der Betreuungsgruppe (Eve & Rave oder andere ähnliche Organisationen) tätig werden können.

Die Betreuungs-Crew sollte auf erste Hilfe im medizinischen Bereich eingerichtet und geschult sein, das heißt, daß Pflaster, Verbandskasten und ein kleines Grundsortiment an Medikamenten verfügbar sein müssen. So kann oft das Herbeirufen eines Arztes vermieden werden.

 

Vertragsbedingungen

Vertragspartner der Betreuungsgruppe einer Safer House Technoparty verpflichten sich, die oben aufgelisteten Richtlinien einzuhalten und die dort angegebenen Vorbedingungen zu erfüllen. Die MitarbeiterInnen der Betreuungsgruppe einer Safer House Technoparty überzeugen sich vor der Veranstaltung, ob der Veranstaltungsraum (location) und das dort arbeitende Personal den Richtlinien entspricht und die Vorbedingungen erfüllt sind. Wenn dies der Fall ist, wird mit dem Veranstalter ein Vertrag abgeschlossen. Dann darf der Veranstalter die Party als Safer House- oder Safer Technoparty ankündigen.

Einen Raum oder eine ruhige Ecke muß der Veranstalter für die MitarbeiterInnen der Betreuungs-Crew zur Verfügung stellen, damit diese dann dort ihren Informationsstand aufbauen können.

Die MitarbeiterInnen der Betreuungs-Crew sind dann durchgehend, das heißt von Beginn an bis zum Ende der Party, vor Ort anwesend und stehen am Informationsstand für Gespräche und Erste-Hilfe-Maßnahmen bereit und verteilen Aufklärungsmaterialien in Sachen Drogen und Safer-Sex.

Das Angebot kann natürlich erweitert werden. So führt Eve & Rave zum Beispiel an diversen großen Veranstaltungen im Chill-Out-Bereich ganze Begleitveranstaltungen durch, so etwa beispielsweise von der optischen Gestaltung des Ambient- und Chill-Out-Bereichs über die musikalische Gestaltung mit life Ambient-Musik bis hin zur Durchführung von Mind-Machine-Sessions (Neuro-Ekstase), Fachbuchausstellungen und kreativen Mini-Workshops für Raver.

 

Die Kosten

Der Veranstalter zahlt der Betreuungsgruppe ein Entgelt für deren Leistungen von DM 500.-- bis DM 3.000.-, je nach Größe und Art der Veranstaltung. Bei Gestaltung des Chill-Out-Bereichs oder bei der Durchführung eigener Zusatzprogramme (Mind-Machines, etc.) erhöht sich dann der Preis entsprechend.

Der Minimalbetrag, auch für kleinere Veranstaltungen, liegt bei mindestens DM 500.--, sonst sind die Kosten für Obst, Mineral- und Vitamindrinks, Dekoration, Informationsbroschüren, Flyer und die Transportkosten nicht gedeckt.

Bei Veranstaltungen mit 500 bis 3.000 BesucherInnen muß man etwa mit DM 1,50 pro BesucherIn für die Grundberatung kalkulieren, für ein erweitertes Angebot mit Konzeptionierung und Betreuung des gesamten Chill-Out-Bereichs (inkl. Dekoration, life Act, DJ, Miniworkshop, etc.) etwa DM 3.-- pro BesucherIn.


Fussnoten:

  1. Beobachtungen bezüglich des Vorgehens der Polizei an der MAYDAY im November 1994 in der Deutschlandhalle in Berlin sind im Anhang nachzulesen.
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