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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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»Non ridere, non lugere, neque detestari, sed intelligere «
(Nicht verspotten, nicht betrauern, nicht hassen, sondern verstehen)

Spinoza

 

 

 

     
 

»Was, wenn alles, was wir soeben als moralisch schlecht etikettiert haben, in Wirklichkeit ein Beweis der großen Variationsbreite des Menschseins wäre? «

Virginia Satir

 

 

 

4.   Drug-Checking aus Sicht der »akzeptierenden
    Drogenarbeit«



4. 1   Der Schritt vom Abstinenz- zum Akzeptanzparadigma

Worin liegt der Sinn der akzeptierenden Grundhaltung von »Drug-Checking« gegenüber den Konsumenten illegalisierter Drogen? Warum »Akzeptanz«? Hartnäckige Vertreter einer abstinenzorientierten oder prohibitiven Linie bezweifeln zum Teil auch heute noch den Nutzen »akzeptierender Drogenarbeit«, sehen darin u.a. eine gefährliche Verharmlosung der verbotenen Substanzen. Indem hier zunächst generell die der Entwicklung »akzeptierender Drogenarbeit« zugrundeliegenden Beweggründe, Ursachen und Ziele dargestellt werden, versuche ich auch gleichzeitig den Nutzen der akzeptierenden Grundhaltung von »Drug-Checking« deutlich zu machen. Schließlich geht es außerdem um die Klärung der Frage, inwieweit »Drug-Checking« über die Akzeptanz des illegalisierten Drogenkonsums hinaus aufgrund der besonderen Art seiner Leistung in der Lage ist, zu einer Verwirklichung der Ziele »akzeptierender Drogenarbeit« beizutragen.

Der akzeptanzorientierte Arbeitsansatz hat sich Anfang der 80er Jahre in Abgrenzung zur traditionellen, abstinenzorientierten Drogenhilfe konstituiert, die eine dauerhafte Abstinenz von illegalisierten Drogen zur Bedingung und zum nahezu einzigen Ziel ihrer helfenden und therapeutischen Bemühungen machte. Aus abstinenzorientierter Sicht wird »Drogenkonsum [...] meist als »Abweichung« wahrgenommen, von den Hilfesuchenden wird - bereits bei der Kontaktaufnahme - indirekt eine Selbstetikettierung als »Versager« gefordert und die Übernahme fremder Zielsetzungen (z.B. Abstinenz) abverlangt. All dies sind Schwellen, die eine Inanspruchnahme des Hilfesystems erschweren. Hilfen werden deshalb oft sehr spät, erst bei eskalierenden Problemen, gesucht .« Die abstinenzorientierte Drogenhilfe wurde demnach als zu hochschwellig und bevormundend empfunden, ihre einseitige Fixierung auf die Sucht und vor allem deren Beendigung als wenig sinnvoll und die Hilfsmöglichkeiten einengend angesehen. Diese Kritik bezog sich insbesondere auf das eindimensionale auf Abstinenz ausgerichtete Modell der »Therapiekette«, welches den Drogenhilfemarkt ab Mitte der 70er Jahre dominierte.

Die Therapiekette sah vor, daß der Hilfesuchende die Elemente Kontakt/Beratung, (körperlicher) Entzug, stationäre Langzeittherapie und schließlich Nachsorge in dieser Reihenfolge zu durchlaufen hat, um so das aus akzeptanzorientierter Sicht fragwürdige Ziel der dauerhaften Abstinenz zu erreichen . Das Modell der »Therapiekette« erweist sich letztlich jedoch bis heute als ein zu hochschwelliges, selektives System mit relativ geringer Reichweite und Erfolgen, was z.B. darin zum Ausdruck kommt, daß 60-70% aller Drogenabhängigen die stationäre Therapie vorzeitig abbrechen . Die therapeutische Arbeit im Rahmen der Therapiekette leidet zudem an einem schweren Glaubwürdigkeitsverlust, seitdem mit §35 BtMG die Therapie in die Strafvollstreckung integriert wurde. Der §35 sieht vor, daß bei Durchführung einer Therapie die Vollstreckung einer verhängten Strafe zurückgestellt werden kann, wobei die Therapiezeit angerechnet und der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt werden . Dies führt dazu, daß die »[...] stationäre Langzeittherapie [...] zunehmend als Staatstherapie, als verlängerter Arm der Justiz wahrgenommen [wird], als das kleinere Übel gegenüber dem Strafvollzug « Entsprechend gering ist Motivation jener Klienten, deren Aufenthalt in der stationären Langzeittherapie nicht wirklich freiwillig, sondern eher fremdbestimmt ist. In ihrer Wahrnehmung ist Therapie an erster Stelle eine »Gefängnisvermeidungsveranstaltung«. Die Belegung der Therapieeinrichtungen durch Klienten, die dort infolge richterlicher Anordnung gemäß §35 BtMG auflaufen, führte deshalb zu einer Verschlechterung des Therapieklimas und so auch zu Demotivation der »Freiwilligen «.

Wichtiger Impuls für die Entwicklung der akzeptierenden Drogenhilfe war auch die ab Ende der siebziger Jahre zunehmend beobachtbare gesundheitliche und soziale Verelendung der Konsumenten bestimmter illegalisierter Drogen, die aus akzeptanzorientierter Sicht maßgeblich durch Kriminalisierung, gesellschaftliche Ausgrenzung und Stigmatisierung der Betroffenen mitverursacht wurde: »Aufgrund der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen führt der Konsum illegalisierter Drogen oft zu gesundheitlichen und sozialen Schäden und provoziert negative Reaktionen des sozialen Umfeldes (z.B. Ausgrenzung oder Verfolgung). Die akzeptierende Drogenarbeit versucht, dies zu verhindern oder zumindest zu lindern und einer »Selbstschädigung« entgegenzuwirken .« Dem aus der gesundheitlichen und sozialen Verelendung heraus entstehenden Bedürfnis nach Unterstützung innerhalb der Sucht konnte bzw. wollte die traditionelle, abstinenzorientierte Drogenhilfe nicht gerecht werden. »Kapitulation vor der Sucht« bzw. »Stabilisierung innerhalb der Sucht« waren Schreckbilder für die sich zunehmend professionalisierende und bürokratisierende Drogenhilfe Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre... «, weshalb die Hilfeangebote stets mit der Forderung nach Abstinenz verknüpft waren. Der ideologische Streit um Ziele und Methoden der Drogenhilfe verschärfte sich Mitte der 80er Jahre schließlich mit dem Aufkommen von HIV/Aids in der Population der Drogenkonsumenten. Angesichts der tödlichen Gefahr von Aids drängte sich jener Gedanke um so stärker auf, wonach Drogenabhängigen auch eine Unterstützung unterhalb des Maximalziels Abstinenz gewährt werden muß. Einmal mehr erschien die Fokussierung aller Hilfemaßnahmen auf die Sucht und vor allem deren Beendigung als unzureichend. Im Gegenzug erschien es nun zunehmend als wichtig, einen möglichst frühzeitigen Kontakt zu den Drogenkonsumenten herzustellen, um durch entsprechende Angebote gesundheitlicher Verelendung und sozialer Desintegration vorzubeugen bzw. Gesundheit und soziale Integration wiederherzustellen. Die Aids-Panik der späten 80er Jahre erwies sich so als ein wichtiger Impulsgeber bei der Entwicklung des Akzeptanz-Paradigmas, der u.a. zum Durchbruch von Programmen wie der Methadon-Substitution und des Spritzentauschs bzw. der Einmalspritzen-Vergabe zur Vermeidung der HIV-Infektion beigetragen hat .

Die skizzierte Entwicklung führte schließlich dazu, daß seit Mitte der 80er Jahre die Begriffe »Akzeptanz«, »Niedrigschwelligkeit« und »Suchtbegleitung« zu Trendbegriffen der Drogenhilfe wurden. Weitere Begriffe, welche die inhaltliche Umorientierung der Drogenhilfe zum Ausdruck brachten, lauteten »nicht-bevormundende«, »bedürfnisorientierte«, »lebensweltnahe« »klientenorientierte« oder »risikomindernde« Drogenarbeit. Mit diesen Begriffen setzte man sich deutlich von der hochschwellig arbeitenden Drogenhilfe und der repressiven Politik des Staates gegenüber Drogenkonsumenten ab. Ziel war es u.a. die Angebote der Drogenhilfe - hinsichtlich der Zielsetzung wie auch der Methodik - zu differenzieren, wobei unterschiedliche Menschen mit differenten Entstehungsgeschichten ihres Drogenkonsums, unterschiedlichen Konsummustern und Lebensverläufen berücksichtigt werden sollten. Man hatte erkannt, daß Drogenkonsum längst nicht immer Abhängigkeit bedeutet und deshalb stets hinsichtlich der Funktion, die er für den einzelnen hat, betrachtet werden muß. Eines der wohl wichtigsten Prinzipien »akzeptierender Drogenarbeit« besteht wohl in dem Verzicht auf das Unterstellen einer generellen Behandlungsbedüftigkeit von Drogengebrauchern im Sinne klinischer oder therapeutischer Interventionen. »Die Alltagsprobleme der Gebraucher und die Risiken des Konsums treten in den Vordergrund. Eine Bevormundung durch beratende oder therapeutische Institutionen wird aufgegeben zugunsten der Betonung der Selbstbestimmung der Drogengebraucher .«. Diese werden als mündige, zu Selbstverantwortung fähige Menschen angesehen, die das Recht auf menschenwürdige Behandlung haben. Auf diese Weise versucht die »akzeptierende Drogenhilfe« sich an den großen Teil der Drogenkonsumenten zu richten, der durch die hochschwelligen drogenfreien Angebote nicht mehr erreicht werden kann oder will. Ihre Angebote zielen gerade auf jene Drogenabhängigen / Drogenkonsumenten, die (noch) nicht zur Änderung ihres Lebenswandels bzw. zum Antritt einer Therapie motiviert sind.

Man ist bemüht, die mit illegalisiertem Drogengebrauch verbundenen gesundheitlichen, sozialen und psychischen Risiken zu minimieren. Gerechtfertigt wurde diese Herangehensweise u.a. auch durch das Mitte der 80er Jahre bekanntgewordene Ergebnis einer großen deutschen Katamnese-Studie, wonach die berufliche und soziale Integration der Bereitschaft und Fähigkeit zur Drogenfreiheit vorausgeht. Die Bedeutung von Maßnahmen zur gesundheitlichen, beruflichen, psychischen und sozialen Stabilisierung bzw. Reintegration erhielt hierdurch ein zusätzliches Gewicht, während das Ziel der Abstinenz in den Hintergrund rückte.

 

 

4. 2   Harm-reduction

Hierarchisch geordnet läßt sich die vorgenommene Ziel-Diversifikation der akzeptierenden Drogenhilfe wie folgt definieren:

  • Sicherung des Überlebens
  • Sicherung eines möglichst gesunden Überlebens
  • Reduzierung von Konsumhäufigkeit und -menge und Einschränkung von riskanten Konsummustern
  • kontrollierter Substanzkonsum
  • Dauerhafte Abstinenz.

Wie die Darstellung der Ziel-Diversifikation deutlich macht, fokussiert akzeptanzorientierte Arbeit auf praktischer Ebene das Ziel der »Risikominimierung« oder auch »Schadensbegrenzung« (»Harm-reduction«). Neue, auf »Harm-reduction« zielende Konzepte der »akzeptierenden Drogenarbeit« stellten eine wichtige Innovation innerhalb des Drogenhilfesystems dar. Allgemein gesprochen beabsichtigt der »Harm-reduction«-Ansatz eine Verminderung der substanz-, set- und settingspezifischen Risiken, die im Zusammenhang mit dem Gebrauch von (illegalisierten) Drogen entstehen. Drogengebrauchenden Menschen werden nicht automatisch psychische Defizite als Ursache bzw. zwangsläufiges Resultat des Drogengebrauchs unterstellt. Vielmehr betrachtet der Ansatz Drogengebraucher als zu eigenverantwortlichem Handeln fähige Individuen, die durch entsprechende Maßnahmen in die Lage eines möglichst risikobewußten Umgangs mit den illegalisierten Substanzen versetzt werden sollen.

»Harm-reduction« ist nach dem Verständnis akzeptanzorientierter Drogenarbeit unabhängig von therapeutischer Intervention und hat auf jeden Fall Vorrang vor der für viele Drogengebraucher unrealistischen Zielsetzung Abstinenz . »Harm-Reduction« wird durch die Einrichtung verschiedenster schadensbegrenzender Hilfeangebote umgesetzt. Hierzu zählen z.B.:

  1. Unterstützung beim Erlernen risikomindernder Konsumformen (Safer Use),
  2. Angebote einer Konsummöglichkeit in Konsum- oder Gesundheitsräumen, um Drogentodesfälle und Sekundärkrankheiten durch Überdosierung bzw. unsaubere Drogenapplikation zu vermeiden, sowie um überhaupt einen ersten helfenden Kontakt zu den Drogenabhängigen zu knüpfen;
  3. Kontaktläden bzw. Tagesaufenthaltsstätten zur Gewährung lebenspraktischer Basishilfen wie warme Mahlzeiten, Dusch- und Waschmöglichkeiten, medizinisch-pflegerische Akuthilfe, Spritzentausch, Hilfen bei der Beschaffung von Notunterkünften etc. DrogenkonsumentInnen können sich hier treffen, soziale Kontakte knüpfen, sich aufwärmen und das Gespräch mit den Professionellen suchen. Es werden hier möglichst wenig Bedingungen (Beratungszwang, Nüchternheit) gestellt.
  4. »Streetwork, d.h. eine Beratung, in der die Sozialarbeiter den Klienten entgegenkommen, sie auf der Straße, an ihrem Ort aufsuchen - ohne sich aufzudrängen oder darauf zu bestehen, die Klienten »mitzunehmen«. Ziel sind die Kontaktaufnahme zu ansonsten unerreichbaren Drogenkonsumenten und die Vermittlung von Hilfsangeboten


Diese Angebote in Form von Überlebenshilfen und Maßnahmen der Gesunderhaltung tragen wesentlich dazu bei, daß die Lebensphase des Konsums bzw. Mißbrauchs illegalisierter Drogen überhaupt und möglichst ohne nicht-beabsichtigte irreversible Schäden überstanden werden kann . Die Chance dieses Ziel zu erreichen vergrößert sich - wie bereits angedeutet - durch die Herstellung eines möglichst frühzeitigen Kontakts zu den Konsumenten, der sich am ehesten dann einstellt, wenn man auf ideologisch geprägte Verhaltenserwartungen (z.B. Abstinenz) verzichtet .

 

 

4. 3   Grundkonsens der »akzeptierenden Drogenarbeit«

Obwohl eine exakte Definition des Begriffs »akzeptierende Drogenarbeit« bis heute nicht existiert, besteht ein Grundkonsens in bezug auf:

  1. den Abschied vom Mythos der drogenfreien Gesellschaft bzw. der Freiheit von illegalen Drogen;
  2. den Abschied vom Mythos der suchtfreien Gesellschaft: es geht nicht mehr nur darum, Süchte zu verhindern, sondern auch darum, mit ihnen adäquat, unter Wahrung der Menschenwürde, umgehen zu lernen;
  3. die Einsicht, daß es keinen »Königsweg« in der Behandlung von Drogenabhängigkeit geben kann (wie man es z.B. lange Zeit von der »Therapiekette« annahm), sondern eine Vielfalt von Hilfeangeboten notwendig ist;
  4. den Abbau von Schwellen im Zugang zur Drogenhilfe, um die Reichweite und Haltekraft der Hilfeangebote zu vergrößern, insbesondere für die Drogengebraucher, die hochschwellige drogenfreie Angebote nicht mehr erreichen können oder wollen;
  5. die Abwendung von linearem oder polarem Denken hin zu einem zirkulären Verständnis individueller Drogenkonsumverläufe;
  6. die Einsicht einer symbolischen und emotionalen Aufladung der »Drogenthemen«: die Substitutionsbehandlung, die Spritzenvergabe und die Druckräume sind Beispiele dafür .

 

 

4. 4   Die Rolle des Dialogs im Rahmen »akzeptierender
       Drogenarbeit«

»Das lateinische »accipio« bedeutet sowohl gutheißen, billigen, als auch empfangen, bekommen, hören, erfahren, aufnehmen und erlernen. In dieser breiten Bedeutung kommt ein dialogischer Moment, eine Wechselseitigkeit der Kommunikation zum Ausdruck .« Auf methodischer Ebene ist aus akzeptanzorientierter Sicht gerade das Eingehen eines Dialogs mit dem Hilfesuchenden zwecks der gemeinsamen Entwicklung von Hilfe- oder Bewältigungsstrategien wichtige Voraussetzung einer effektiven Drogenarbeit. Erst auf diese Weise kann die Gefahr vermieden werden, daß Hilfemaßnahmen völlig an der Lebenswirklichkeit sowie an den gesundheitlichen und sozialen Bedürfnissen der Hilfesuchenden vorbeizielen. Akzeptierende Drogenarbeit geht also von den Bedürfnissen der Klienten aus, was nicht bedeutet, auf alle Ansprüche reagieren zu wollen oder zu können:

»Institutionelle Hilfe und Unterstützung ist Ergebnis von Aushandlungsprozessen zwischen den Mitarbeitern und Klienten, in denen die Zielsetzungen reflektiert und die Angemessenheit der Ansprüche abgeklärt werden. [..] Zu den Aushandlungsprozessen gehört die systematische Rückkoppelung mit den Klienten, die auch durch Kooperation mit Selbsthilfeorganisationen, durch Beteiligung von Interessenvertretern und durch weitere Methoden (z.B. anonymisierte Befragungen) erfolgen kann .« Auf den Einzelfall bezogen, werden zur Grundlage des Dialogs »... die Organisationsmuster, Lebensorientierungen, Handlungsmuster und Kompetenzen [...] gemacht, die das Gegenüber im Rahmen seiner bisherigen Lebensbewältigung entwickelt hat Es handelt sich hier um lebensgeschichtlich entwickelte Fähigkeiten, Strategien und Einstellungen, die subjektiv Sinn machen, möglicherweise funktional - in den meisten Fällen hilfreich sind . Ein konstruktiver Dialog kann nur auf der Basis einer tragfähigen Arbeitsbeziehung stattfinden, die jedoch »...nicht wie selbstverständlich dort entsteht, wo es sich [wie beim Konsum illegalisierter Drogen, d. Verf.] um ein gesellschaftlich stigmatisiertes, ausgegrenztes, verpöntes oder sogar strafrechtlich verfolgtes Verhalten handelt .« Eine tragfähige Arbeitsbeziehung muß deshalb erst geschaffen werden, indem offene, niedrigschwellige, unverbindliche, d.h. nicht grundsätzlich an die Bereitschaft zur Verhaltensänderung gekoppelte Angebote gemacht werden. Mit der auf diese Weise geschaffenen Möglichkeit des Zustandekommens eines Dialogs vergrößert sich dann auch die Chance, daß Hilfeangebote annehmbar und erreichbar sind. Für den angestrebten Dialog zwischen der (akzeptierenden) Drogenhilfe und den Hilfesuchenden sind bestimmte Prämissen gültig:

Auch scheinbar unverständliches Drogenkonsumverhalten muß als eine persönliche Entscheidung begriffen und akzeptiert werden, als ein möglicher und legitimer Lebensstil, auch wenn man ihn niemals selbst übernehmen wollte. Angenommen wird, daß die Drogengebraucher ihre guten Gründe dafür haben, warum sie Drogen konsumieren. Konsumverhalten, das in Hinblick auf die Art der Droge, die Form, Dosis oder Häufigkeit des Konsums für den Außenstehenden evtl. nicht nachvollziehbar ist, ergibt subjektiv aus Sicht des Konsumenten sehr wohl einen Sinn.

Auch Drogengebraucher haben, selbst und gerade dann, wenn sie immer wieder oder »ständig« Drogen konsumieren, ein Recht auf menschenwürdige gesundheitliche und soziale Lebensbedingungen, sie müssen es nicht erst durch abstinentes und angepaßtes Verhalten erwerben.

Auch Drogenkonsumenten können für sich selbst verantwortlich handeln. Sie sind in der Lage, alle sie betreffenden Fragen selbst zu entscheiden. Freiwilligkeit in Bezug auf Beratung, Therapie und andere Unterstützungsangebote bildet daher eine unabdingbare Grundvoraussetzung.

Mitarbeiter in der Drogenarbeit, -beratung und -therapie können weder wissen noch brauchen sie zu wissen, was für ihre Klienten »gut«, sinnvoll und »richtig« ist. Diese sind in der Lage, selbst darüber zu entscheiden . Diese Prämissen setzen das mündige Gegenüber voraus. Sie sprechen Drogenabhängigen wie auch generell allen Konsumenten illegalisierter Drogen ein Selbstbestimmungs- und Verantwortungspotential zu, welches es zu aktivieren und zu fördern gilt:

 

 

4. 5   (Self-) Empowerment -
       die Förderung der Selbststeuerungsfähigkeit

Das Akzeptanzparadigma fordert u.a. dazu auf, »... unterschiedliche Lebensstile zu akzeptieren, bei einer selbstbestimmten Lebensführung zu unterstützen und gemeinsam mit den Klienten Möglichkeiten für einen eigenverantwortlichen, risikominimierenden und genußorientierten Umgang mit Drogen zu entwickeln .« Dieses Ziel soll erreicht werden, indem die »akzeptierende Drogenarbeit« bei der Bereitstellung von Hilfen die Handlungskompetenzen und Selbsthilferessourcen der Betroffenen einzubeziehen und zu verstärken versucht. Es geht um eine Unterstützung, die langfristig zur (Wieder-) Herstellung von Autonomie und Selbststeuerungsfähigkeit (Empowerment) führt. Selbst »... Krankheit oder Sucht entwerten oder verunmöglichen nicht per se Selbstbestimmungsrechte .« Die »... in der Drogenhilfe langjährig vorherrschende pauschale Zuweisung eines Opfer-Status für Abhängige (Sklave der Droge, Opfer der Händler) ist verkürzt und liefert lediglich die Legitimationsbasis für fremdbestimmte [und deshalb unzulängliche, d. Verf.] 'Hilfe'-interventionen. Sie blendet auch die Nutzbarmachung und Förderung der Selbstheilungskräfte, der Betroffenenkompetenz, kurz des 'self-empowerments' aus

Hiermit wurden die Prinzipien, Ziele und Methoden der »akzeptierenden Drogenarbeit« in einer für meine Zwecke ausreichenden Art und Weise geschildert. Halten wir zunächst fest, daß es offensichtlich eine Reihe von sehr guten Gründen gibt, den Konsumenten illegalisierter Drogen auf akzeptierende Weise zu begegnen. Aus eben diesen Gründen ist auch die akzeptierende Grundhaltung von »Drug-Checking« prinzipiell positiv zu bewerten. Halten wir außerdem fest, daß »Niedrigschwelligkeit«, »Harm-reduction« sowie die »Betonung der Eigenverantwortung von Drogengebrauchern« die wohl wichtigsten Elemente des Akzeptanz-Paradigmas darstellen. Aus dem Blickwinkel »akzeptierender Drogenarbeit« sind Nutzen und Sinn von »Drug-Checking« nun danach zu beurteilen, inwieweit es diese zentralen Anliegen erfüllt bzw. zu ihrem Erreichen beitragen kann. Wir hatten bereits Gelegenheit, uns anhand der von mir vorgestellten Drug-Checking-Modelle ein genaues Bild über die Art des Beitrags zu machen, den Drug-Checking zur Verbesserung des Drogenhilfesystems zu leisten in der Lage ist. Deutlich sollte dabei geworden sein, daß Drug-Checking den aus akzeptanzorientierter Sicht zu berücksichtigenden und wichtigen Aspekten »Niedrigschwelligkeit«, »Harm-reduction« sowie »Eigenverantwortlichkeit der KonsumentInnen« nicht nur absolut gerecht wird, sondern diesbezüglich sogar eine Reihe entscheidender Vorzüge aufzuweisen hat:

 

 

4. 6   Zur Beurteilung von »Drug-Checking« aus der Sicht
       »akzeptierender Drogenarbeit«

Der Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (»akzept e.V.«) betrachtet Drug-Checking als sinnvollen Beitrag zu einer niedrigschwelligen akzeptierenden Kontaktarbeit, welche die »... auf Leidensdruck basierenden Ansätze der traditionellen Drogenhilfe besonders stark durchbricht .« Infolge eines veränderten Verständnis von Drogenkonsum und -abhängigkeit konzentriert sich diese Arbeit besonders auf Aufgaben im Rahmen der Konsum- und Suchtbegleitung. »Auf diese Weise sollen zum einen die körperlichen, psychischen und sozialen Folgen des Konsums der derzeit illegalisierten Drogen minimiert oder verhindert werden. Zum anderen soll Hilfe und Unterstützung bereitgestellt werden, um die Begleiterscheinungen der Prohibition - Kriminalisierung, soziale Ausgrenzung, Stigmatisierung usw. - besser bewältigen zu können .« Konkret soll die Möglichkeit zum »Drug-Checking« der Vermeidung von drogenkonsumbedingten gesundheitlichen Schäden, Drogennot- und Drogentodesfällen dienen. »Unbeabsichtigte Überdosierungen und Vergiftungen durch Beimischung toxischer Stoffe können durch Drug-Checking erheblich verringert werden. Die den Klienten eingeräumte Möglichkeit, sich über die Qualität der Drogen zu informieren, gibt mehr Sicherheit beim Drogenkonsum; zugleich wirkt diese indirekte Kontrolle disziplinierend auf den Schwarzmarkt ein und kann so zu einer Verbesserung der Qualität der dort angebotenen Drogen führen .« Doch es ist nicht nur diese risikominimierende und schadensbegrenzende (Harm-reduction-)Qualität, die Drug-Checking zu einem sinnvollen Angebot der »akzeptierenden Drogenarbeit« machen würde.

Festgestellt wurde, daß »akzeptierende Drogenarbeit« u.a. besonderen Wert auf die »Niedrigschwelligkeit« ihrer Angebote legt. Man ist bemüht, die Reichweite der Hilfeangebote zu vergrößern, indem die Schwellen im Zugang zur Drogenhilfe abgebaut werden. Durch den möglichst frühzeitig herzustellenden Kontakt möchte man die Gebraucher illegalisierter Drogen rechtzeitig vor dem eventuellen Eintritt problematischen Konsumverhaltens, ungewollter gesundheitlicher Schädigungen oder sozialer Desintegration erreichen. »Drug-Checking« genießt eine außerordentlich hohe Akzeptanz bei den Drogengebrauchern, erfüllt den Anspruch der Niedrigschwelligkeit damit voll und ganz. Dies belegen u.a. die positiven Erfahrungen der DROBS Hannover mit »Drug-Checking«. Mit Hilfe von »Drug-Checking« gelang es der DROBS Hannover - zumindest innerhalb ihres Umfeldes - die zum Teil immer noch zu recht verbreitete Vorstellung zu widerlegen, daß eine Drogenberatungsstelle prinzipiell Abstinenz fordere. Das Ausräumen jenes in diesem Falle Vorurteils, habe sich sehr positiv auf die Erreichbarkeit der Konsumenten ausgewirkt, so teilt die DROBS Hannover mit. Der von der DROBS Hannover durchgeführte Ecstasy-Test trug dazu bei, daß man über die Mitteilung des Ergebnisses hinaus Kontakte zu den Partydrogenkonsumenten aufbauen konnte. Nachdem früher nur äußerst wenig Ratsuchende kamen und etwas über synthetische Drogen wissen wollten, verzeichnet die DROBS diesbezüglich einen stark vermehrten Zulauf seitdem sie das Angebot von Drug-Checking im Programm hat.

Schließlich ist Drug-Checking auch im Sinne des (Self-) Empowerment-Gedanken höchst wirksam. Es wurde bereits in Kapitel 2 ausführlich darauf hingewiesen, daß das fehlende Wissen hinsichtlich Wirkstoff, Wirkstoffkombination und genauer Dosis den eigenverantwortlichen, selbstgesteuerten, risikominimierten und genußorientierten Umgang mit illegalisierten Drogen verunmöglicht. Entscheidende Handlungskompetenzen und Selbsthilferessourcen der Drogenkonsumenten können so nicht zum Tragen kommen. Indem Drug-Checking den Konsumenten die so wichtigen Informationen zu Wirkstoff und Dosis liefert, trägt es entscheidend zur (Wieder-)Herstellung von deren Autonomie und Selbststeuerungsfähigkeit im Umgang mit den illegalisierten Drogen bei.

 


Fußnoten:
  1. Spinoza, zit. in: Leon Wurmser: Die verborgene Dimension. Göttingen 1997, 17 .
  2. Virginia Satir: Selbstwert und Kommunikation. München 1996, 355 .
  3. Die nachfolgenden Ausführungen dieses Kapitels beziehen sich hauptsächlich auf folgende Quellen: Heino Stöver (Hrsg.): Akzeptierende Drogenarbeit. Freiburg im Breisgau 1999, 7-24. ; Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V.: Leitlinien der akzeptierenden Drogenarbeit. Materialien Nr. 3. Münster Januar 1999, 4-24. Insofern andere Quellen verwendet wurden, wird dies durch Fußnoten kenntlich gemacht .
  4. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 17 .
  5. Vgl. Horst Bossong, Jörg Gölz, Heino Stöver (Hg.): Leitfaden Drogentherapie. Frankfurt/Main; New York 1997, 10 .
  6. Vgl. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek: Drogenpraxis, Drogenrecht, Drogenpolitik. 4. Auflage. Frankfurt am Main 1995, 90 .
  7. Vgl. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 239 .
  8. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 39f .
  9. Vgl. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 113f .
  10. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 18 .
  11. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 12 .
  12. Vgl. H. Bossong, J. Gölz, H. Stöver, a.a.O., 10, 83 .
  13. Vgl. Jürgen Neumeyer, Henning Schmidt-Semisch (Hrsg.): Ecstasy-Design für die Seele?. Freiburg im Breisgau 1997, 218f .
  14. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 133 .
  15. Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 253f .
  16. Vgl. H. Bossong, J. Gölz, H. Stöver, a.a.O., 21, 84-88 .
  17. Vgl. Johannes Herwig-Lempp: Von der Sucht zur Selbstbestimmung. Dortmund 1994, 122f .
  18. Vgl. L. Böllinger, H. Stöver, L. Fietzek, a.a.O., 133 .
  19. Vgl. H. Bossong, J. Gölz, H. Stöver (Hg.), a.a.O., 82 .
  20. Vgl. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 13 .
  21. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 14 .
  22. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 18 .
  23. H. Bossong, J. Gölz, H. Stöver (Hg.), a.a.O., 82 .
  24. Vgl. H. Bossong, J. Gölz, H. Stöver (Hg.), ebd .
  25. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 16 .
  26. Vgl. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O. 15f .
  27. Vgl. J.Herwig-Lempp, a.a.O., 120f .
  28. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 16 .
  29. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 16 .
  30. H. Stöver (Hrsg.), ebd .
  31. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 27 .
  32. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., ebd .
  33. Akzept - Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik e.V., a.a.O., 38 .

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