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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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»Aber immer - vergessen sie das nicht, Winston, wird es den Rausch der Macht geben [...], das Gefühl auf einem wehrlosen Feind herumzutrampeln. Wenn sie sich ein Bild von der Zukunft ausmalen wollen, dann stellen sie sich einen Stiefel vor, der in ein Menschenantlitz tritt - immer und immer wieder. [...] Das Gesicht zum Treten wird immer da sein. Den Ketzer, den Feind der Gesellschaft wird es immer geben, so daß er immer wieder besiegt und gedemütigt werden kann «

George Orwell

 

 

 

6.   Zur Gefährlichkeit von Ecstasy und Heroin

Jeder kennt ihn, den vermeintlichen Feind unserer Gesellschaft. Es handelt sich - natürlich - um die illegalisierten Drogen. Entsprechend sind es auch die »verbrecherischen« Drogendealer (nein, hier ist nicht die Rede von der Alkoholindustrie) und die »gestörten«, »defizitären« Drogenkonsumenten, die ihr Gesicht immer wieder zum »Reintreten« zur Verfügung stellen müssen. Tatsächlich werden Drogenkonsumenten in Deutschland durch Gefängnisstrafen und im Rahmen von Zwangstherapien immer wieder besiegt und gedemütigt. Und dann gibt es noch jene Menschen die es wagen, Forderungen nach »Drug-Checking«-Angeboten zu stellen. Wie gefährlich ist nun dieser »Feind der Gesellschaft« tatsächlich?

 

 

6. 1   Ecstasy


6. 1. 1  Akut schädigende Wirkungen

Die toxikologischen Aspekte des Ecstasy-Konsums beurteilend, kommt Prof. Dr. Achim Schmoldt zu der folgenden Ansicht:

»Angesichts der vielen Ecstasy-Konsumenten und der häufigen, regelmäßigen und in sehr vielen Fällen hochdosierten Einnahme ist die Zahl der bekanntgewordenen Fälle mit somatischen Komplikationen, die zur Einweisung in eine Klinik geführt haben, als sehr gering zu bezeichnen


Diese Einschätzung deckt sich mit jener des Mediziners und Pharmakologen Dr. Erik Fromberg, der bei seiner Bewertung der akuten Toxizität der Droge Ecstasy (MDMA) zu folgendem Urteil kommt:

»Geht man davon aus, daß Hunderttausende regelmäßig Ecstasy konsumieren, sind ernsthafte Kurzzeitfolgen des Ecstasy-Konsums äußerst selten [...]. Der Konsum von Ecstasy auf einer Rave-Party ist mit erheblich geringerer Lebensgefahr verbunden als die Fahrt mit dem Auto zum Rave, da Verkehrsunfälle zu einer wesentlich höheren Mortalitätsrate bei jungen Leuten führen als der Ecstasy-Gebrauch. Wir können daher leicht die Schlußfolgerung ziehen, daß für die öffentliche Gesundheit das Kurzzeitrisiko von Ecstasy-Konsum zu vernachlässigen ist. [Hervorh. d. Verf.] «


Die National Poisons Unit gibt für den Zeitraum von Januar 1988 bis Juli 1992 vierzehn Todesfälle in Großbritannien an, die in Verbindung mit Ecstasy gebracht wurden (allein sieben dieser Todesfälle fielen in das Jahr 1991). In diesen Fällen wurde im Blut oder im Urin der Opfer MDMA gefunden, was jedoch nicht heißt, daß MDMA (Ecstasy) auch wirklich die Todesursache war. Die Zahl der Ecstasy-Konsumenten in Großbritannien wurde während der damaligen Zeit auf zwischen einer und fünf Millionen geschätzt, der durchschnittliche Konsum pro Konsument auf ca. 25 Ecstay-Pillen im Jahr. Nimmt man nun die höchste Zahl von sieben Toten des Jahres 1991, und schätzt man die Anzahl der Konsumenten auf lediglich eine Millionen, würde das Risiko, infolge von Ecstasy-Konsum zu sterben, 7 zu 1 Million oder 1 zu 143.000 im Jahr betragen. Wenn Konsumenten durchschnittlich 25 Ecstasy im Jahr nehmen, beträgt das Risiko jedesmal 7 zu 25 Millionen oder 1 zu 3,6 Millionen. Den Statistiken und Bewertungen der Medical Association des Jahres 1990 folgend, ist nun das Todesrisiko im Falle der Teilnahme an einer ganzen Reihe allgemein akzeptierter Aktivitäten in Großbritannien als weitaus höher einzustufen, als beim Konsum von Ecstasy: Beim Fallschirmspringen verunglücken in Großbritannien 3 von 1.000 Sportlern jedes Jahr tödlich. Das Rauchen von 10 Zigaretten täglich geht mit einem jährlichen Todesrisiko von 1 zu 200 einher. Spielt man Fußball, geht man ein jährliches Todesrisiko von 1 zu 25.000 ein. Die Chance, bei einem Straßenunfall ums Leben zu kommen liegt in Großbritannien jedes Jahr bei 1 zu 8.000. Auch Zuhausebleiben ist nicht ungefährlich. Das Risiko eines tödlichen Haushaltsunfalles liegt bei 1 zu 26.000 im Jahr. Da die Zahlen des Ecstasy-Konsums auf geschätzten Statistiken beruhen, kann man die Aussagekraft dieses Zahlenspiels natürlich anzweifeln. Selbst jedoch, wenn die geschätzten Zahlen die Ergebnisse um das Zehnfache verzerren, bleibt das Risiko infolge des Ecstasy-Konsums zu sterben, immer noch kleiner als bei der Teilnahme an vielen akzeptierten und populären Aktivitäten .

Kaum zu glauben, daß hier von der gleichen Substanz die Rede sein soll, die von sensationsgierigen Massenmedien und verlogenen Drogenverbotspolitikern für zahllose schwerwiegende gesundheitliche Schädigungen ihrer Konsumenten, ja sogar für zahlreiche Todesfälle verantwortlich gemacht wird. An dieser Stelle sollen dennoch nicht die im Zusammenhang mit Ecstasy-Konsum äußerst selten auftretenden gesundheitlichen Schäden unterschlagen werden. Dr. Erik Fromberg findet in der medizinischen Literatur fünf verschiedene ernsthafte Folgen des Ecstasy-Gebrauchs beschrieben:

  1. Hyperthermie, die zu Rhabdomyolyse [Form der Muskelzerstörung], diffuser intravasaler Koagulation [Blutgerinnung in den Gefäßen] und akutem Nierenversagen führt;
  2. akute Lebervergiftungen;
  3. kardiovaskuläre [Herzgefäß-] Störungen;
  4. Hyponatriämie [Natriummangelsyndrom];
  5. psychische Beeinträchtigungen.


Aus der Sicht von Erik Fromberg ist das Auftreten dieser im Extremfall tödlich endenden Komplikationen jedoch alles andere als zufällig. Seiner Meinung nach sind folgende Faktoren für die schweren toxischen Reaktionen verantwortlich:

  1. Anomalien im Stoffwechsel von MDMA und anderer Phenylalkylamine. Die Mengen, die eingenommen wurden, bewegen sich in einigen Fällen im »normalen« Rahmen, während die Blutwerte extrem hoch sein können;
  2. zugrundeliegende (verborgene) Krankheiten; [hierzu müssen auch dringend die psychischen Vorbelastungen - sog. Prädispositionen bzw. individuelle Vulnerabilitäten - gerechnet werden, die wesentlich für auf den Drogenkonsum evtl. folgende psychische Beeinträchtigungen verantwortlich sind, d. Verf.].
  3. ideosynkratische Reaktionen, da die Seltenheit schwerwiegender Reaktionen im Vergleich zum verbreiteten Ecstasy-Konsum eine individuell angelegte Sensitivität vermuten läßt (die auch gelegentlich bei Medikamenten zu beobachten ist, wie Fromberg an anderer Stelle bemerkt);
  4. Umweltfaktoren, besonders im Fall von Hyperthermie .


Das aber hat zu bedeuten, daß man die ohnehin schon extrem selten auftretenden gesundheitlichen Schädigungen beim Konsum von Ecstasy bei entsprechenden vorsorglichen Maßnahmen mit nahezu hundertprozentiger Sicherheit ausschließen kann: Ich denke hier zunächst an medizinische Voruntersuchungen, die sicherstellen, daß die oben benannten - den Ecstasy- Konsum kontraindizierenden - Faktoren (Stoffwechselanomalie, ideosynkratische Reaktion = (MDMA- Unverträglichkeit), bestehende Vorerkrankungen) auszuschließen sind. Die dann noch bestehenden drug-, set- und settingspezifischen Risiken lassen sich durch seriöse, sachliche Aufklärung der Ecstasy- Konsumenten aus der Welt schaffen: So kann man leicht durch entsprechende Hinweise den von Mischkonsum ausgehenden Gefahren vorbeugen. Oder der Gefahr einer Hyperthermie, indem man klar macht, daß während einer Party entstandene Flüssigkeitsverluste durch die Zufuhr erfrischender Getränke auszugleichen sind, zwischenzeitlich Tanzpausen eingelegt und kühlere Orte aufgesucht werden sollten. (Wie man ja z.B. auch weiß, daß man sich nachts im Winter in alkoholisiertem Zustand besser nicht dazu entscheidet, im Freien zu schlafen.).

 

 

6. 1. 2  Chronische Schädigungen

Gerne flüchten sich Prohibitionisten in vage Prognosen über die langfristigen Folgen des Drogenkonsums, wenn die erhofften akut schädigenden Wirkungen der Droge ausbleiben. So auch bei Ecstasy, wobei die vermuteten neurotoxischen Effekte dieser Substanz im Mittelpunkt der Diskussion stehen. Tatsächlich ist es so, daß man beim derzeitigen Stand der Forschung noch keine eindeutigen Aussagen zu den neurotoxischen Langzeitschäden des Ecstasy-Konsums machen kann. Daten aus Tierversuchen, die auf den Menschen nicht ohne weiteres übertragbar sind, deuten jedoch auf die Existenz neurotoxischer Wirkungen von Ecstasy (MDMA) hin. Andererseits macht die Kontroverse der Forscher Dr. George Ricaurte und Dr. James O´ Callaghan deutlich, daß die wissenschaftlichen Methoden zur Messung von Neurotoxizität im Gehirn selbst bei Tieren offensichtlich noch nicht ausgereift sind und unterschiedliche Methoden hier zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen kommen können . Geht man mal - da nicht ganz unwahrscheinlich - spielerisch davon aus, daß Ecstasy (MDMA) bezogen auf den Mensch neurotoxisches Potential besitzt, so bleibt allerdings weiterhin mehr als unklar, welche Dosierungen und Konsummuster hier ganz konkret als gefährlich anzusehen sind.

Ihre Existenz wieder vorausgesetzt, scheint mir dennoch die Neurotoxizität von Ecstasy aus hauptsächlich zwei Gründen kein Anlaß zur Panik zu sein: Zunächst muß nach heutigen Erfahrungen der Ecstasy- Konsum fast immer als Ausdruck einer temporären Lebensphase begriffen werden, ist also auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt. Hierdurch reduziert sich die Gefahr neurotoxischer Langzeitschäden (wenn es sie denn gibt) jedoch ganz erheblich . Schließlich gilt es zu bedenken, daß ja auch Alkohol trotz seines enorm hohen neurotoxischen Schädigungspotentials von vielen bedenkenlos getrunken wird. Folgeschäden am Gehirn und dem peripheren Nervensystem nach chronischem Alkoholkonsum sind vielfältig und umfassen zahlreiche Krankheitsbilder wie z.B. das Alkoholdelir, die alkoholische Nervenerkrankung (Polyneuropathie), das organische Psychosyndrom mit einhergehender Persönlichkeitsveränderung, das Wernicke-Syndrom, das Korsakow Syndrom oder auch die Kleinhirnatrophie . Es sind die in der Regel gemäßigten Konsummuster, die diesen Gefahren des Alkohols vorbeugen. Was für Alkohol gilt, gilt jedoch auch für Ecstasy: Unterstellt man Ecstasy ein dem Alkohol ähnlich hohes oder gar höheres neurotoxisches Potential, so relativieren sich die hiervon ausgehenden Gefahren ebenfalls in Anbetracht entsprechend gemäßigter Konsummuster, die auch bei Ecstasy-Konsumenten eher die Regel als die Ausnahme sind .

 

 

6. 1. 3  Todesfälle - Dichtung und Wahrheit

Der »Rauschgiftbilanz 1995« des damaligen Drogenbeauftragten Eduard Lintner zufolge, sollen in diesem Jahr angeblich 15 Personen »im Zusammenhang mit Ecstay-Konsum gestorben« sein. In der Auflistung des Bundeskriminalamts (BKA) ist sogar von 18 Todesfällen im Jahr 1995 in Zusammenhang mit der Einnahme von Ecstasy die Rede. Die Recherchen des Vereins Eve & Rave hinsichtlich der genauen Todesursachen in diesen Fällen ergaben jedoch ein komplett anderes Bild. So wurde z.B. festgestellt, daß es sich allein bei 8 der 18 angeblichen »Ecstasy-Toten« um Selbstmordfälle handelte, die - wie anhand toxikologischer Gutachten einwandfrei belegt wurde - nicht unter Ecstasy-Einfluß durchgeführt wurden. Wie gerne und vorschnell der Konsum von Ecstasy seitens der damaligen Regierung und des Bundeskriminalamtes für Todesfälle verantwortlich gemacht wurde, belegt auch ein Fall, bei dem es sich eigentlich um einen Verkehrsunfall handelte: Hier soll der Fahrer neben Alkohol auch Ecstasy konsumiert haben, wobei der Tod aber durch Ertrinken (Auto wurde in einen Fluß gesteuert) eintrat. Ein Ecstasy-Toter? Wohl kaum . Zusammenfassend stellt der Verein Eve & Rave fest:

»Ein direkter Ursachenzusammenhang durch Überdosierung konnte lediglich in vier Fällen nachgewiesen werden, wobei allerdings bei drei Fällen gleichzeitig auch andere Drogen konsumiert worden [z.B. Alkohol, Kokain, d. Vef.] sind und im vierten Fall eine Vorschädigung des Herzens vorlag.

Es konnte keine direkte Kausalität zwischen Drogeneinnahme und Tod, wie das bei anderen Drogen der Fall ist (z.B. Tod durch Leberzirrhose nach chronischem Alkoholabusus, Lungenkrebs nach chronischem Tabakkonsum oder Atemlähmung infolge einer akuten ungewollten Heroinüberdosierung), schlüssig nachgewiesen werden


Letztlich blieben also sage und schreibe noch vier »Ecstasy-Todesfälle« des Jahres 1995 übrig (bei gleichzeitig geschätzten 40.000 Alkoholtoten), wobei in drei Fällen leichtsinniger Mischkonsum betrieben, im vierten Fall köperliche Vorschädigungen ignoriert wurden, die den Ecstasy-Konsum eigentlich kontraindizierten. Ecstasy eine Killerdroge? Ich glaube nicht.

 


Fußnoten:
  1. George Orwell: 1984. Berlin 1997, 246 .
  2. Achim Schmoldt, In: Rainer Thomasius (Hrsg.): Ecstasy - Wirkungen, Risiken, Interventionen. Stuttgart 1999, 30 .
  3. Erik Fromberg, In: J. Neumeyer, H. Schmid-Semisch (Hrsg.): Ecstasy - Design für die Seele? Freiburg im Breisgau 1997, 166f .
  4. Vgl. Nicholas Saunders: Ecstasy. Zürich 1996, 65-67 ; 134f .
  5. Vgl. Erik Fromberg, In: J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 161-166 .
  6. Vgl. Dr.George Ricaurte, Dr. James O´Callaghan, In : Nicholas Saunders: ecstasy und die Tanzkultur. Solothurn 1998, 51-68 .
  7. Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 271 .
  8. Ein bekannter Professor der GhK hat laut eigener Aussage aus diesem Grund seinen eigenen Alkoholkonsum bereits vor langer Zeit eingestellt .
  9. Vgl. Sebastian Scheerer, Irmgard Vogt (Hrsg.): Drogen und Drogenpolitik. Frankfurt/Main ; New York 1989, 110-115 .
  10. Vgl. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O, 181-184 .
  11. J. Neumeyer, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), a.a.O., 183f .

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