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Drug-Checking -
sinnvolles Instrumentarium der Drogenhilfe?

Dipl.-Arbeit für die Prüfung zum Erwerb des Akademischen Grades Dipl.-Sozialarbeiter/- Sozialpädagoge
eingereicht von Axel Mähler


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5. 5   Risikomangement -
       Abkehr von der Abstinenzdogmatik in der Suchtprävention

»Risiken managen im Umgang mit Drogen.« So lautet das neue Motto des Präventionsdiskurses in fortschrittlichen Präventionskreisen. Man kann es auch so formulieren, daß es nun darum geht, Risiken zu bewältigen, anstatt sie zu vermeiden. Es geht um Gesundheitschutz und Schadensminimierung bei den »Risikonehmern« (risk takers), die bei der Entwicklung eines »sicheren« oder »verantwortlichen« Drogenkonsumverhaltens unterstützt werden sollen. Der Soziologe Lic. Phil. Hermann Fahrenkrug stellt hierzu fest:

»Risikobewusstsein im Umgang mit Drogen zu entwickeln, konkrete Drogenrisiken abzuschätzen, mit Gewinn einzugehen oder zu vermeiden, also eine drogenspezifische Risikokompetenz, will gelernt sein. Für die AnhängerInnen der Risikoprävention beim Drogengebrauch ist es evident, daß derartige Kompetenzen beim »Hineinwachsen in die Drogenkultur der Gesellschaft [,die eine soziale Realität ist, d.Verf.] nützlich sind. Da die Risikolust der Jugend auf Drogen offenbar eine Konstante ist, kann es nur noch darum gehen, dieses Risikoverhalten in seinen positiven Aspekten zu fördern und mögliche Nachteile auf ein schadensreduziertes Minimum zu bringen. Dazu bedarf es hauptsächlich der Förderung von Risikokompetenz auf der individuellen und kollektiven Ebene [...] und der pädagogischen Risikobegleitung jugendlichen Drogenkonsums


Bei dem Versuch zu konkretisieren, was man unter »drogenspezifischer Risikokompetenz« genau zu verstehen habe, wodurch also ein kompetenter Umgang mit den Risiken des Drogenkonsums gekennzeichnet sei, entwickelt Fahrenkrug folgende Kriterien:

  • Profunde Kenntnisse über die Stoffe
  • Erwerb von Erfahrungen und Entscheidungs-/Handlungskompetenz im Umgang mit Drogen
  • Fähigkeit zur Verhinderung eines längerfristigen Mißbrauchsverhaltens
  • Genuss-Orientierung
  • Fähigkeit zur Verhinderung von Abhängigkeit
  • Entwicklung eines kontrollierten Konsums (Selbstkontrolle von Wirkungen und Schädigungen)
  • Sensitives Eingehen von Risiken (sensitive risk-taking)


Aus der Sicht von Fahrenkrug muß effektives »Risikomanagement«, um Jugendliche wirklich zur Risikokompetenz im Umgang mit Drogen zu befähigen, u.a. eine Qualitätskontrolle der illegalisierten Drogen anbieten, da die Unkenntnis über den genauen Inhalt der jeweiligen Substanz risikokompetenten Konsumverhalten ansonsten entgegensteht. Er spricht sich damit also für das Angebot von »Drug-Checking« aus.

Als Befürworter des Modells Risikomangement stellt sich auch Prof. Dr. Peter Franzkowiak in seinem 1998 in der Zeitschrift »Akzeptanz« veröffentlichten Artikel dar, worin er als Konsequenz aus den Ergebnissen der Jugendrisikoforschung die Reformulierung der Ziele von Suchtprävention fordert. Zur neuen Dachstrategie der gesamten Suchtprävention müsse das »Risikomangement« mit dem inhaltlichen Ziel der Förderung von Risikokompetenz bei Jugendlichen und jungen Heranwachsenden werden.

Die konsequente praktische Umsetzung dieser Forderung nach Risikomangement bzw. Risikobegleitung als neuer Leitorientierung würde bedeuten, daß sich damit Suchtprävention in seiner Geschichte erstmals deutlich vom Abstinenzparadigma distanziert. Denn Ziel von Risikomanagement bzw. Risikobegleitung ist nicht mehr in erster Linie das Herbeiführen einer abstinenten Haltung gegenüber Drogen, sondern vielmehr die Förderung von Risikokompetenz bei Jugendlichen und jungen Heranwachsenden im diesbezüglichen Umgang. Zunächst allgemein, im zweiten Satz dann konkret auf den Drogenkonsum bezogen definiert Franzkowiak Risikokompetenz wie folgt:

Es »... geht [...] um den Erwerb von Erfahrungen und die Entwicklung von Entscheidungs- und Handlungskompetenzen im Umgang mit gesundheitsbezogenen Risikoverhaltensweisen bzw. Risikosituationen mit dem Ziel, die Auswirkungen riskanten Verhaltens auf sich und die Umwelt angemessen einschätzen und daraus individuell und sozial verträgliche Handlungskonsequenzen ziehen zu lernen. Für alle Konsumformen und -situationen können Sicherheitsregeln aufgestellt werden. Je früher eine Sicherheitsregel greift, desto höher ist der präventive Nutzen für die einzelnen und die Gesellschaft


In Franzkowiaks Modell bildet die Risikokompetenz zwar einen gemeinsamen Kern von Suchtprimärprävention und -tertiärprävention, hat dort jedoch unterschiedliche Zielsetzungen. Während es im Bereich der Primärprävention um die Unterstützung der potentiellen Drogenkonsumenten bei der Entwicklung von »Riten des Geniessens« bzw. »Regeln für Räusche geht (Franzkowiak bezeichnet dies als »sensible risk-taking«), steht bei der Tertiärprävention die Vermittlung und Ermöglichung der Anwendung von »Safer Use«-Regeln, d.h. »Regeln zum Überleben, und zwar möglichst ohne irreversible Schäden« im Mittelpunkt. Im Bereich der Tertiärprävention sieht Franzkowiak die Förderung der Risikokompetenz in fortschrittlichen Initiativen, Modellen und Konzepten - die im Zuge der Entwicklung von »akzeptierender und niedrigschwelliger Drogenarbeit« und »harm reduction« entstanden sind - bereits teilweise umgesetzt. Im Bereich der Primärprävention sieht dies jedoch anders aus. Das Angebot einer genußorientierte Konsumberatung, in der Regeln für (sichere) Räusche vermittelt werden, sucht man im Bereich der Drogenhilfe vergeblich. Franzkowiak folgend sollte die Primärprävention ihre Chancen deshalb darin sehen,

»...eine [...] Genuß-Orientierung zu entwickeln und dazu ihre Adressaten auch zu befähigen. Analog zu den Sicherheitsregeln der Aidsprävention wäre es daher im primärpräventiven Feld sinnvoll, Regelkataloge zum alltäglichen Umgang mit (Rauschmittel-)Risiken aufzustellen, zielgruppennah zu verbreiten und zu überprüfen - ohne moralische Vorabbewertung


Da dieser Anspruch beim derzeitigen Stand wissenschaftlicher Forschung (noch) nicht ohne weiteres umzusetzen sei, müsse man parallel dazu außerdem dafür sorgen, daß die langjährigen Forschungsdefizite im Bereich des kontrollierten und genußvollen Drogenkonsums beseitigt werden:

»Wir wissen zu wenig über die Möglichkeiten eines kontrollierten bzw. genußvollen Rauschmittelgebrauchs, weil wir uns fast ausschließlich aus einer Krisen- und Abweichungsperspektive mit den negativen Konsumfolgen, v.a. der Sucht, beschäftigt haben. Wichtig wäre zu wissen und immer wieder neu zu überprüfen: Welches Maß, welche Regeln, welche Rituale machen den Gebrauch, aber auch bestimmte Formen des Mißbrauchs, von unterschiedlichen Rauschmitteln sicherer? «

 

 

5. 6   Drug-Checking als unverzichtbarer Bestandteil
       der Risikomanagement-Strategie

Egal ob im primärpräventiven oder im tertiärpräventiven Bereich, die Befähigung des Jugendlichen zur Risikokompetenz, also zu einem kompetenten, erfahrungsgeleiteten, selbstkontrollierten und gefahrenabschätzenden Drogenkonsumverhalten wird erschwert oder sogar verunmöglicht, da die qualitative und quantitative Zusammensetzung illegalisierter Drogen dem Konsumenten in der Regel nicht bekannt ist. Drogengebraucher haben also nicht die Möglichkeit, »... eigene Verhaltensmuster und Erlebnisse, die in Beziehung zu ihrem Drogenkonsum stehen, mit bestimmten Wirksubstanzen in Verbindung zu bringen. Erst so wird [aber] ein differenziertes Reflektieren über die eigene Risikosituation im Zusammenhang mit Drogenkonsum und Lebensgestaltung möglich .« Mit anderen Worten: Risikokompetenz bringt nichts, wenn der Konsument gar nicht genau weiß, welchen Stoff er sich in welcher Dosierung z.B. beim Konsum einer vermeintlichen Ecstasy-Pille zuführt. Peter Franzkowiak ist daher der Ansicht, daß einer der Schwerpunkte von Risikomanagement als Dachstrategie der (zukünftigen) Suchtprävention auf der strukturellen, substanzbezogenen Gefahrenminimierung liegen sollte. Hierzu zählt er z.B. auch die Einrichtung von substanzbezogenen Qualitätskontrollen im Sinne eines Verbraucherschutzes, um die Sauberkeit der Substanzen gewährleisten zu können. Auch nach meiner Meinung ist der Erfolg der Strategie Risikomanagement bzw. Risikobegleitung in besonderem Maße abhängig von der Entwicklung von (Drug-Checking-)Programmen, die eine substanzbezogene Qualitätskontrolle ermöglichen. Drug-Checking ist ein unverzichtbares Instrumentarium zur Förderung der individuellen Risikokompetenz sowie zur substanzbezogenen Gefahrenminimierung. Risikomanagement bzw. Risikobegleitung und Drug-Checking sind untrennbar miteinander verknüpft. Letztlich verschiebt sich mit den Erkenntnissen der modernen Entwicklungspsychologie bzw. der Jugendrisikoforschung die Herausforderung an die präventive Arbeit der Drogenhilfe: Nicht mehr die weder politisch durchsetzbare noch kulturell funktionalen Erzwingung von flächendeckender Dogenabstinenz erscheint erstrebenswert, sondern die (sozial-)pädagogische Begleitung von jugendlichen Risikohandlungen, eingebettet in politisch-strukturelle Gefahrenminimierung (z.B. durch Drug-Checking). »Rauschmittelabstinenz und Prohibition bleiben dabei als mögliche, u.U. auch zentrale Optionen erhalten, verlieren aber ihren bisherigen exklusiven, dogmatisch-sanktionierenden Charakter

 

 

5. 7   Gundula Barsch: Kritik und Alternativen
       zu aktuellen Präventionsmodellen

Noch ein wenig über die Idee des »Risikomanagements« hinaus führt das von Prof. Dr. Gundula Barsch entwickelte Modell der »Drogenmündigkeit«. Anlaß für die Entwicklung dieses eigenen Präventionsmodells war u.a. ihre grundsätzliche Kritik am Modell »Risikomangement«, welches aus Barschs Sicht eine ungerechtfertigte Gleichsetzung von (illegalisierten) Drogenkonsum mit dem Eingehen eines Risikos beinhaltet. Drogenkonsum als Gefahr sei jedoch lediglich eine Eventualität, aber kein Faktum. Hierfür spricht z.B. die Tatsache, daß die meisten Menschen auch im Zusammenhang mit Alkohol »Drogenmündigkeit« erwerben und Alkoholkonsum in der öffentlichen Diskussion kaum als ein »Risikoverhalten« problematisiert oder wahrgenommen wird, es sei denn in Verbindung mit der vom Alkohol verursachten Fahruntüchtigkeit der Verkehrsteilnehmer. Es soll im Folgenden allerdings mehr um die von Barsch geäußerte Kritik an den abstinenzorientierten Präventionsmodellen gehen, während die Darstellung des von ihr entwickelten Alternativkonzepts »Drogenmündigkeit« nur am Rande erwähnt wird:

Gundula Barsch macht den gegenwärtigen Präventionsmodellen der Drogenhilfe zum Vorwurf, daß sie sich einseitig an einem medizinalisierten Argumentationsmuster orientieren würden. »Allen Präventionsstrategien ist gemeinsam, daß sie das medizinisch definierte Phänomen Sucht zu ihrem Gegenstandsbereich erklären und dessen Verhinderung als Ziel proklamieren .« Der Fokus präventiver Bemühungen ist damit auf den problematischen Umgang mit psychoaktiven Substanzen gerichtet, während ebenfalls existierende unproblematische Drogenkonsumformen bestenfalls als präpathologische Vorstufen angesehen werden. Die üblichen Präventionsmodelle betrachten Drogenkonsum in erster Linie als gesundheitsriskantes, in die Abhängigkeit führendes und per se problematisches Verhalten, welches es zu verhindern gilt. Diese medizinalisierte, pathologisierende Betrachtungsweise wird dem Drogenkonsum als komplexes Phänomen jedoch nicht gerecht. Als Ergebnis dieser einseitigen und reduzierten Wahrnehmung ergeben sich im System der Drogenhilfe zwangsläufig Lücken hinsichtlich des Managements von Drogenkonsum. »Die gesellschaftlichen Strukturen sind [...] so angelegt, daß DrogenkonsumentInnen bei ihrer Nachfrage nach Unterstützung für die Entwicklung autonomer und funktionaler Drogenkonsumformen umgehend in den Bereich der Drogenhilfe und damit in ein Versorgungssystem gelangen, das vielfach nicht mit adäquaten Mitteln reagieren kann oder will .« Es kommt auf diese Weise zu einer Fehlversorgung, indem pathologisierende drogentherapeutische Behandlungen an die Stelle treten, wo vorinstitutionelle, jugendarbeiterische oder auch allgemeine psychosoziale Hilfen angemessener erscheinen. Aus den Defiziten aktueller Präventionskonzepte entsteht die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Neuorientierung. Hierbei soll der im Rahmen des Drogenhilfesystems entwickelte Paradigmenwechsel »Akzeptanz statt Abstinenz« konsequent weitergeführt werden.

»Gegenstandsbereich von Präventionsstrategien [soll] nicht das Phänomen »Sucht« sein. In den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit muß vielmehr die Art und Weise des Drogenkonsums als komplexes Phänomen rücken, das in der Lebenspraxis der Menschen verankert und kulturell eingebunden ist .« Verzichtet man aber auf die Pathologisierung illegalisierten Drogenkonsums, und nimmt man statt dessen Drogenkonsum als komplexes Phänomen wahr, das unter bestimmten Bedingungen in die Lebenswirklichkeiten der Menschen integrierbar ist und dort einen berechtigten Platz haben kann, so wird aus Sicht von Gundula Barsch die Entwicklung von Drogenmündigkeit zur zentralen Aufgabe von Prävention. »Unter Drogenmündigkeit soll individuelles und kollektives Handeln verstanden werden, durch welches die Menschen in der Lage sind, unproblematische, d.h. integrierte, autonom kontrollierte und genußorientierte Drogenkonsumformen als in ihren eigenen (individuellen und kollektiven) Interessen liegend zu erkennen und zu entwickeln .« Für die Rolle von Drug-Checking im Rahmen des Konzepts »Drogenmündigkeit« gilt übrigens das gleiche, was unter 6.6 bereits über die Rolle von Drug-Checking im Rahmen des Konzepts »Risikomanagement« gesagt wurde.

 


Fußnoten:
  1. Hermann Fahrenkrug in: akzept e.V. (Hrsg.): a.a.O., 20 .
  2. H. Stöver (Hrsg.), a.a.O., 64 .
  3. P. Franzkowiak in: akzept e.V. (Hrsg.): a.a.O., 12 .
  4. P. Franzkowiak, ebd .
  5. Hans Cousto: Drug-Checking. Solothurn 1999, 11f .
  6. P. Franzkowiak in: akzept e.V. (Hrsg.): a.a.O., 10 .
  7. Vgl. Gundula Barsch in: BOA e.V. (Hrsg.): Pro Jugend - Mit Drogen?.Solothurn 1998, 28-40 .
  8. G. Barsch, a.a.O., 28 .
  9. G. Barsch, a.a.O., 30 .
  10. G. Barsch, a.a.O., 31 .
  11. G. Barsch, ebd .

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