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Drug-Checking-Konzeptfür die Bundesrepublik Deutschland
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In den Niederlanden wurde
bereits im Jahr 1989 mit einem "Drug-Checking-Programm"
begonnen .Anfänglich
wurde vom 1986 gegründeten Drogenberatungsbüro von
August de Loor in Amsterdam (Stichting Adviesburo Drugs) in
Zusammenarbeit mit der Präventionsabteilung des Amsterdamer
Jellinek Instituts und dem Niederländischen Institut für
Alkohol und Drogen in Utrecht (NIAD), welches inzwischen dem
Trimbos Institut in Utrecht eingegliedert wurde, die Möglichkeit
geschaffen, Ecstasyproben zur Analytik im Büro August de
Loors wie auch im Jellinek Zentrum in Amsterdam abzugeben. Die
Pillen oder Kapseln wurden dann zur Untersuchung in das Delta-Labor
in Utrecht weitergeleitet.
Im April 1992 wurde zur Verbesserung der Präventionsprogramme
und zur Schaffung einer praktikablen und effizienten Infrastruktur
zur Durchführung des Drug-Checking-Programms vom Adviesburo
Drugs in Amsterdam die sogenannte "Safe-House-Campagne"
ins Leben gerufen und als feste Einrichtung installiert .
Zu Beginn wurden acht Mitarbeiter im Rahmen der Safe-House-Campagne
beschäftigt. In den ersten sechs Monaten wurden bereits
über 40 Informationsstände an Techno- und Houseparties
eingerichtet und betreut. An diesen Informationsständen
wurden Informationsmaterialien zu Ecstasy und anderen Drogen
abgegeben, Flyer mit Warnungen vor überdosierten und verunreinigten
Ecstasypillen verteilt, Schnelltests (Marquis-Reaktionstest)
an Ecstasypillen durchgeführt und Pillen
und Kapseln für die Laboruntersuchungen entgegengenommen
.
Im Juni 1993 vermeldete das Adviesburo Drugs, daß bereits
mehr als 300 Parties mit insgesamt 1,2 Millionen Besuchern betreut
wurden. Der Bedarf an den Dienstleistungen
der Safe-House-Campagne hatte alle Erwartungen übertroffen
.
Zur Erkundung des Marktes werden bei der Probenabgabe Daten über den Ort des Kaufs der Pillen oder Kapseln, die angegebenen Namen der Pillen und die Angaben des Verkäufers über ihre Wirkstoffzusammensetzung erhoben. Diese ermöglichen die Ermittlung eines Übereinstimmungskoeffizienten zwischen der Aussage über die Wirkung einer bestimmten Substanz und deren tatsächlichen Inhaltsstoffen. Auf diese Weise können Erfahrungsberichte der Konsumenten eindeutig bestimmten chemischen Substanzen zugeordnet und die spezifischen Wirkungsunterschiede einzelner Amphetaminderivate auf breiter Ebene untersucht werden. Die Tests werden anonym durchgeführt. Jede abgegebene Pille wird mit einem Kenncode versehen. Wer die Ergebnisse der Tests erfahren will, muß den Kenncode kennen sowie einen weiteren Codenamen, der bei der Abgabe abgesprochen wird, nennen. Alle Testergebnisse werden in Listen zusammengefaßt, wobei eine genaue Beschreibung der äußeren Beschaffenheit der Pille (Durchmesser, Dicke, Farbe, Oberflächenstruktur, Bildmotiv, etc.) ebenso aufgezeichnet wird wie die genaue chemische Zusammensetzung. Hierdurch kann ein Vergleich mit den auf Parties mit dem Schnelltest untersuchten Pillen vorgenommen werden.
Über 95 Prozent der im Partykontext getesteten
Pillen sind in den Listen enthalten, so daß dem Inhaber
einer Pille mit hoher Wahrscheinlichkeit gesagt werden kann,
welchen Wirkstoff die Pille enthält. Weil für den
Schnelltest nur wenig Substanz benötigt wird, kann
der Eigentümer der untersuchten Pille dieselbe noch konsumieren,
sofern keine Beanstandungen auf Grund des Tests vorliegen .
Durch die genauen Kenntnisse über die
chemische Zusammensetzung der auf dem Schwarzmarkt angebotenen
Drogen war es den Niederländern möglich, ein Frühwarnsystem
einzurichten. Enthalten Pillen Substanzen in gesundheitsgefährdenden
Dosen, so wird auf Flugblättern, die eine Auflage bis zu
100.000 Exemplaren erreichen, in Clubs und einschlägigen
Lokalen vor dem Kauf und Gebrauch dieser Pillen gewarnt. Bei
wirklich gefährlichen Pillen wird eine Pressemitteilung
herausgegeben und zudem werden zusätzliche Warnflugblätter
erstellt, die in ländlichen Gebieten von der Polizei verteilt
werden. Mit der Presse, mit den Radio- und den TV-Sendern besteht
bezüglich der Weiterverbreitung solcher Warnhinweise eine
Vereinbarung .
Die Listen mit den genauen Daten der Analytik
zu den einzelnen Pillenproben, die zentral für die Niederlande
durch das NIAD und das Drug Information and Monitoring System
(DIMS) erfaßt werden, sind generell nur Beratungsstellen
zugänglich und werden nicht veröffentlicht. Wer Angaben
zu seiner Pille haben will, muß also bei einer Beratungsstelle
vorsprechen, so zum Beispiel bei einem Informationsstand auf
einer Party oder bei einer der zahlreichen festen Beratungsstellen.
Hin und wieder werden jedoch auch Listen mit Einzelergebnissen
in der Fachliteratur veröffentlicht. Diesen Veröffentlichungen
können nicht nur die Angaben zu Größe, Form
und Farbe wie auch zu Inhaltsstoffen entnommen werden, sondern
auch Angaben über die Herkunft der Pille und zur Person,
die die Pille zur Untersuchung einreichte (zum Beispiel ob es
sich um einen Konsumenten, Kleinhändler oder Großdealer
oder um einen Produzenten handelte) .
Zusätzlich zu diesem Konsumentenschutz wird auch versucht, Einfluß auf die Produktion zu gewinnen. Bringen Dealer verunreinigte oder gefährliche Pillen zum Drogentest, werden sie nach der Herkunft der Tabletten befragt, beziehungsweise dazu angehalten, eine Kontaktaufnahme zwischen Lieferant und dem Büro August de Loors zu ermöglichen. Nennt ein Dealer den Namen seines Lieferanten, so hat das keinerlei juristische Konsequenzen, weder für den Dealer, noch für den Lieferanten. Je höher man in der Dealerhierachie ankommt, um so größer ist die Chance, daß bestimmte schlechte Pillen vom Markt verschwinden. Mit dem Verweis auf schlechte Testergebnisse wird jeder Dealer seinem Produzenten die Drogen zurückgeben und gegen andere austauschen. Dieser wird sich bemühen müssen, saubere Ware herzustellen, wenn er weiterhin im Geschäft bleiben will. Neben dem Kontakt mit den Konsumenten und Dealern bestehen auch weitere Einflußmöglichkeiten auf die Produzenten der Ecstasypillen. Einige bringen Proben ihrer produzierten Ware aus eigenem Interesse zum Testen, um von sich einerseits deren Qualität überprüfen zu lassen und sicher zu sein, daß ihnen bei der Produktion keine Fehler unterlaufen sind, andererseits aber auch, um die Dosierung überprüfen zu lassen. Andere Produzenten kommen mit ihren Pillen zum Test, weil ihre Abnehmer sie dazu aufgefordert haben. Eine weitere Gruppe von Produzenten kommt nicht freiwillig zum Test ihrer Produkte, weil sie kein Interesse an dieser Art von Qualitätsüberprüfung haben oder nicht auffindbar sind.
De Loor schilderte einen Fall, in dem auf dem Niederländischen Schwarzmarkt zahlreiche Ecstasypillen identischen Aussehens mit einer Dosierung von 240 mg reinem MDMA gefunden wurden. Dies entspricht etwa dem doppelten einer regulären Dosierung. Gebraucher mußten in diesem Fall vor einer Überdosierung gewarnt werden. Da der Produzent unbekannt war, wurden in allen regionalen und überregionalen Zeitungen Anzeigen geschaltet, die die Pille beschrieben und dessen Produzenten aufforderten, die Dosierung der Pillen herab zu senken. Viele niederländische Zeitungen drucken solche Anzeigen als Beitrag zur Volksgesundheit kostenlos ab. Anzeigen dieser Art sehen wie folgt aus:
An den Produzenten der kleinen weißen MDMA-Pillen (auf beiden Seiten leicht abgerundet und mit einer Bruchrille auf der einen Seite): Diese Tabletten sind viel zu hoch dosiert, so daß die Gebraucher der Pillen mit ernsthaften Problemen rechnen müssen. Überprüfe die Dosierung und setze diese herab. N.I.A.D ./ DIMS-Projekt, Postfach. 4055, 3500 BV-Utrecht.
In dem beschriebenen Fall setzte sich der Produzent
mit dem Büro de Loors in Verbindung. Es wurde vereinbart,
daß er seine Ware vom Markt zurückzieht, die Pillen
halbiert und neu einfärbt, damit sie anders aussehen als
die, vor denen auf den Flugblättern gewarnt wird. Mehrheitlich,
so berichtete de Loor, kommt es zu einer Einigung zwischen den
Produzenten und seinem Büro. Wenn nicht, dann stehen seine
Produkte auf den Warnflugblättern (Flyern und Plakate)
und sind somit, zumindest in den Niederlanden, so gut wie unverkäuflich
.
Aus den langjährigen Erfahrungen in den Niederlanden mit dem Drug-Checking-Programm und der Beobachtung des Schwarzmarktes leitet de Loor drei Faktoren ab, die die Qualität der Ecstasypillen bestimmen:
Der Ort des Einkaufs und der Bekanntheitsgrad
des Dealers
Wird Ecstasy bei einem Freund oder Hausdealer gekauft, so
konstatiert man mehrheitlich eine weit bessere Qualität
als bei Ecstasy, das in einem Club oder auf einem Rave auf
dem Dancefloor gekauft wird. Innerhalb eines Clubs wurde
die Erfahrung gemacht, daß bekannte Haus- oder Clubdealer
im allgemeinen reinere Produkte anbieten, während Fremde
oder Neulinge auf diesem Markt nur Ware minderwertiger Qualität
vertreiben. Wird ein bekannter Clubdealer verhaftet und
rücken daraufhin andere nach, so verringert sich zwar
das Angebot der erhältlichen Produkte nicht, jedoch
wird dann eine erhebliche Qualitätsminderung beobachtet.
Ebenso wird – dadurch bedingt – eine Vermehrung der gesundheitlichen
Beeinträchtigungen in physischer wie auch in psychischer
Hinsicht bei den Besuchern festgestellt.
Die Berichterstattung in den Medien
Nach dramatisierenden Meldungen über die Gefährlichkeit
von Ecstasy in den Medien wurde eine Zunahme von Placebos
und Ecstasypillen schlechter Qualität auf dem Schwarzmarkt
sowie eine deutlich erhöhte Zahl von Erste Hilfe Einsätzen
bei Techno- und Houseparties beobachtet.
Aktivitäten der Polizei Verhält
sich die Polizei im Bereich der Drogenermittlungen zurückhaltend,
so macht sich das auf dem Ecstasymarkt bemerkbar. Herrscht
Ruhe auf dem Markt, so ist die Qualität besser, wird
der Markt nervös, so kommen vermehrt chemisch unreine
Stoffe in den Handel .
Drug-Checking wird in den Niederlanden als eine
Dienstleistung für Gebraucher illegaler psychoaktiver Substanzen
verstanden. "Der wichtige Gedanke
unserer Drogenpolitik ist, die Leute vor den wirklichen Gefahren
zu schützen ."
Zudem kann durch die Marktbeobachtung schnell auf Veränderungen
innerhalb der drogenkonsumierenden Szenen reagiert werden. Möglich
wird diese Politik erst durch die Übereinkunft der in der
Drogenprävention arbeitenden Organisationen mit dem Justizministerium
.
Die Niederlande werden von einer Vielzahl ethnischer Gruppen aus aller Welt bevölkert. Jede Gruppe hat einen eigenen kulturellen Hintergrund. Durch ein gezieltes Monitoring können Unterschiede in den Normen und Gebräuchen der einzelnen Gruppen festgestellt werden.
Zur Realisierung eines effizienten Monitorings
hat das Jellinek Institut in Amsterdam in Zusammenarbeit mit
dem Amt für Statistik (O+S, het Amsderdamse Bureau voor
Onderzoek en Statistiek) 1993 das Instrument "Antenne"
geschaffen. Die Mitarbeiter von Antenne befragen regelmäßig
Schüler und Lehrlinge bezüglich ihres Drogengebrauchs,
aber auch bezüglich Ausbildung, Interessen, Wohnsituation,
etc. Des weiteren werden Besucher von sogenannten "Coffeeshops"
(Cafés, in denen man Haschisch kaufen kann) regelmäßig
befragt. So werden Indikatoren zu neuen Trends schnell erkannt
und gut erfaßt, da man einerseits genau über die
Verbreitung und Zusammensetzung der Drogen informiert ist, anderseits
aber auch über das Sozialverhalten spezifischer Gruppen
der Bevölkerung. Die Ergebnisse werden
bei Bedarf den verschiedenen Behörden zur Erarbeitung neuer
präventiver Maßnahmen weitergeleitet und auch jährlich
in Buchform publiziert .
"Das Vorgehen beim Drogenproblem in den Niederlanden hat sich aus der Sicht des Gesundheitsschutzes entwickelt und ruht auf zwei Pfeilern:
An erster Stelle steht,
die Risiken, die mit dem Drogenkonsum zusammenhängen, für
den Drogenkonsumenten, seiner direkten Umgebung und der Gesellschaft,
so klein wie möglich zu halten ."
________________________
D.J. Korf, D. Lettink: Ecstasy: Trends and Patterns
in the Netherlands, in: O+S, het Amsderdamse Bureau voor Onderzoek
en Statistiek: Epidemiologic Trends in Drug Abuse Proceedings of
CEWG, Amsterdam 1994, S.11.
A. de Loor: Safe House Campagne.
Verslag van een contradictie, Amsterdam 1992, S.3.
Mittels des Marquis
Test (ein Gemisch aus Formaldehyd Lösung und Schwefelsäure)
kann sofort festgestellt werden, ob eine Probe Amphetamin oder ein
Amphetaminderivat halluzinogener oder entaktogener Natur enthält.
Auf Grund der Farbreaktion läßt sich dies eindeutig nachweisen.
A. de Loor: Safe House Campagne.
Verslag van een contradictie, a.a.O., S.3.
Stichting Adviesburo Drugs:
Op houseparties dansen mensen sich letterlijk dood, Amsterdam 1993,
S.1.
Eve & Rave e.V. Berlin:
Besprechungsprotokoll der Arbeitssitzung im Büro von August
de Loor (Stichting Adviesburo Drugs) in Amsterdam vom 15. März
1995, Berlin 1995, S.2.
A. Adelaars: XTC. Alles over
ecstasy, dritte überarbeitete Auflage, Amsterdam 1996, S. 174
ff.
Eve & Rave e.V. Berlin:
Besprechungsprotokoll der Arbeitssitzung im Büro von August
de Loor (Stichting Adviesburo Drugs) in Amsterdam vom 15. März
1995, a.a.O., S.7f.
Eve & Rave e.V. Berlin:
Interview mit dem Forschungsleiter des Trimbos Institut, Eric Fromberg,
vom 16. März 1995 in Amsterdam, Berlin 1995, S. 4.
D.J. Korf, T. Nabben, M. Schreuders:
Antenne. Trends in alcohol, tabak, drugs en gokken bij jonge Amsterdamers
(Jellinek Recks, Nr. 3), Amsterdam 1994.
J. de Vlieger (Illicit Drugs
Expert, Rotterdam-Rijmond Police, Rotterdam NL): Ecstasy-Monitoring.
Pillentests aus der Sicht der Polizei, Vortragsmanuskript zur BAG
Tagung im Bankratssaal der Schweizerischen Nationalbank in Bern
zum Thema: "Sind Monitoring und Pillentests geeignete Instrumente
für die Prävention?" vom 1. November 1996, Bern 1996,
S.14.
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