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Drug-Checking-Konzeptfür die Bundesrepublik Deutschland
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In einer sozial-ökologisch orientierten Evaluationsstudie,
welche methodisch quantitative und qualitative Forschungsansätze
zum Zweck eines lebensweltlichen Erkenntniszugangs miteinander verknüpft,
wurden in Essen und Münster in den Jahren 1997 und 1998 insgesamt
385 Konsumenten mittels Fragebögen und 39 Schlüsselpersonen
(Veranstalter, Personal, Drogenverteiler, Szenekenner und in der
Drogenaufklärung tätige Personen) zusätzlich durch
"fokussierte Interviews" befragt. Zudem wurden die Ergebnisse
einer teilnehmender Beobachtung auf den 27 besuchten Veranstaltungen
in die Studie eingebunden. Ziel der Studie war es, die von Präventionsexperten
entwickelten Partydrogeninfocards im Techno- und Ravebereich auf
ihre Zielgruppennähe und Akzeptanz zu testen . In dieser Studie
rangieren Szeneinitiativen wie zum Beispiel Eve & Rave als Informationsquelle
zum Umgang mit Drogen weit vor den Drogenberatungsstellen und den
Gesundheitsbehörden. So wurden Szeneinitiativen etwa dreimal
so häufig als Informationsquelle genannt wie Drogenberatungsstellen
und Gesundheitsbehörden.
Informationsquellen und Nennungen, auf die oben im Text Bezug genommen wurde, sind hier hervorgehoben dargestellt.
Informationsquellen |
Nennungen |
1. Freunde |
85,71% |
2. Zeitschriften |
66,02% |
3. Fernsehen/Radio |
47,10% |
4. Szeneinitiativen (z.B. Eve & Rave) |
40,15% |
5. Dealer |
20,08% |
6. Drogenberatungsstellen |
13,51% |
7. Gesundheitsbehörden |
12,74% |
Auch bezüglich des Indikators "Vertrauen
in die Information" liegen die Szeneinitiativen weit vor den
Drogenberatungsstellen und den Gesundheitsbehörden. Mehr als
die Hälfte der Befragten bezeichneten Szeneinitiativen als
sehr vertrauenswürdig, Gesundheitsbehörden dagegen nur
etwa jeder Vierte. Interessant ist hier auch die Wertung bezüglich
des Mißtrauens. Kein Vertrauen in die Informationen von Szeneinitiativen
hatten nur 6,5 Prozent der Befragten. Bei den Drogenberatungsstellen
waren es mehr als doppelt so viele und bei den Gesundheitsbehörden
sogar viermal so viele, die kein Vertrauen in die abgegebenen Informationen
hatten. Bemerkenswert ist zudem, daß das Vertrauen in die
Medien noch weit schlechter ist, als jenes, daß den Gesundheitsbehörden
entgegengebracht wird. Nur etwa jeder Zehnte der Befragten gab an,
die Informationen in Radio und Fernsehen seien sehr vertrauenswürdig,
kein Vertrauen in Radio oder Fernsehen hatte hingegen etwa jeder
Dritte der Befragten.
Informationsquellen und Nennungen, auf die oben im Text Bezug genommen wurde, sind hier hervorgehoben dargestellt. Einige Personen machten zu dieser Frage keine Angabe. Die Zahl liegt zwischen 2 bis 12%.
Informationsquelle |
Sehr vertrauenswürdig |
Ein wenig Vertrauen |
Kein Vertrauen |
1. Freunde |
55,93% |
37,57% |
4,52% |
2. Szeneinitiativen (z.B. Eve & Rave) |
54,80% |
25,71% |
6,50% |
3. Vorliegende Flyer |
48,87% |
39,27% |
6,50% |
4. Drogenberatungsstellen |
43,79% |
31,36% |
13,28% |
5. Gesundheitsbehörden |
26,99% |
33,62% |
27,12% |
6. Zeitschriften |
14,97% |
52,82% |
23,45% |
7. Radio/Fernsehen |
11,58% |
48,02% |
31,92% |
8. Dealer |
6,78% |
23,16% |
85,47% |
Als beispielhaft für die mythologisierende
Pressearbeit ist das Büro des früheren Drogenbeauftragten
der Bundesregierung Eduard Lintner (CSU) zu bezeichnen. In der politikwissenschaftlichen
Analyse der Tages- und Wochenpresse der Bundesrepublik Deutschland
von Verena Schmidt wird Lintner als Hauptakteur mit der größten
Zahl an Äußerungen in der Ecstasy-Debatte in den Medien
identifiziert. Beispielhaft dafür können auch die in fast
allen überregionalen Tages- und Wochenzeitungen abgedruckten
Artikel vor der Love Parade in Berlin 1998 zum Thema Liquid Ecstasy
angesehen werden. Unter Berufung auf die "Welt am Sonntag"
vom 21. Juni 1998 und auf diverse Nachrichtenagenturen
erschienen
unter Ängste schürende Überschriften Artikel zu einer
neuen Designerdroge namens "Liquid Ecstasy", in denen
der Bundesdrogenbeauftragte Eduard Lintner zitiert wurde:
"Wie bei Ecstasy-Tabletten handelt es sich um eine höchst gefährliche Substanz, die zunächst euphorisiert, dann Übelkeit, Erbrechen und Atemnot bis zu schweren Atembeschwerden, Anfällen und Kommazuständen erzeugt. [...] Den Konsumenten, die meist aus der Techno-Szene stammen, drohe ein totaler Horrortrip."
Weiter hieß es, in Diskotheken in Herford
und Bielefeld seien größere Mengen sichergestellt worden.
Keine der oben bezeichneten Nachrichtenagenturen und kaum eine Zeitung
meldete jedoch, als sich herausstellte, daß die Bielefelder
Drogenfahnder keinen einzigen Tropfen "Liquid Ecstasy"
beschlagnahmten und daß "Liquid Ecstasy" keine neue
Designerdroge ist, sondern ein verschreibungspflichtiges Medikament,
das unter dem Namen Somsanit® im Handel erhältlich
ist. Das altbewährte Medikament mit dem Wirkstoff Gamma-hydroxybutyrat
(GHB) wird in der Szene schon seit vielen Jahren unter der korrekten
Wirkstoffbezeichnung GHB, zuweilen auch unter dem Namen "Liquid
Ecstasy" gehandelt. Daß Lintner, der der Techno-Szene
äußerst medienwirksam den "totalen Horrortrip"
vorausgesagt hatte, am folgenden Montag von seinem Szenario abrückte,
war kaum in einer Zeitung zu lesen. Eine der wenigen erhellenden
Ausnahmen stellte in diesem Fall der Kölner Stadtanzeiger dar.
Bis zum Sommer 1998 wurde GHB in Deutschland außer als Arzneimittel in der Medizin vorwiegend nur als Leistungssteigerungsmittel (Doping-Stoff) im Bereich des Hochleistungssports und von Body-Buildern gebraucht. In der Partyszene war GHB bis dahin wenig verbreitet und kaum bekannt. Erst durch die von Lintner ausgelöste Berichterstattung in den Medien wurden viele auf diesen sogenannten "neuen" Stoff aufmerksam und GHB hielt rasch Einzug in diverse Gesellschaftskreise, so auch in der Party- und Technoszene.
Am 2. November 1999 sorgte GHB in der Berliner
Presse für Schlagzeilen. Die Polizei beschlagnahmte in einer
Wohnung in Berlin-Charlottenburg drei Liter dieser Substanz. Sechs
Personen wurden in der Wohnung, in der das GHB auch hergestellt
wurde, vorläufig festgenommen und nach erkennungsdienstlicher
Behandlung wieder auf freien Fuß gesetzt. Mit der sichergestellten
Menge hätte man gut und gerne 1000 Menschen in Hochstimmung
versetzen können, hieß es bei der Polizei . Gemäß
Polizeiangaben ist das "Zeug in den USA schon längst bekannt,
bei uns tauchte es bis jetzt nicht auf."
In der Presse dominierten gemäß oben
genannter Studie in den Jahren 1992 bis 1997 eindeutig die Sprecher
der CDU/CSU unter den politisch-admistrativen Akteuren im Rahmen
der Ecstasy-Debatte mit einem Anteil von 73 Prozent aller abgedruckten
Artikel. Die SPD war mit nur acht Prozent sehr gering vertreten,
während Bündnis 90/Die Grünen gut 16 Prozent aller
Nennungen ausmachten. Aufschlußreich für die Art und
Weise der Medienberichterstattung ist auch die Tatsache, daß
die Vertreter aus dem Bereich der Strafverfolgung (Polizei und Staatsanwaltschaft)
mehr als dreimal so häufig zu Wort kamen als die Vertreter
der Drogenhilfe.
Generell muß festgestellt werden, daß
die Polizei in der Drogenberichterstattung in der Tages- und Wochenpresse
als der wichtigste Akteur in Erscheinung trat. Experten und Wissenschaftler
spielten mit ihren Einschätzungen, Bewertungen und Erkenntnissen
eine deutlich untergeordnete Rolle. In mehr als einem Drittel aller
Artikel wurden Ecstasyberichte mit Zahlen untermauert. Während
die statistischen Angaben in der Tagespresse zu 75 Prozent aus Polizeiberichten
stammten, verwendeten vor allem die Szene- und Schwulenmagazine
Zahlenmaterial aus Studien, Umfragen, Drogenberichten des Bundes
und der Länder wie auch anderen vergleichbaren wissenschaftlichen
Quellen.
Wie oben dargestellt, sind nicht alle Institutionen und Medien geeignet, Botschaften zur Gesundheitsförderung an relevante Kreise der anzusprechenden Adressaten zu vermitteln. Da als Ursache vor allem mangelndes Vertrauen in zahlreiche Institutionen und Medien festgestellt wurde, gilt es hier zunächst vertrauenswürdige Strukturen zu eruieren und dabei primär die Basis für vertrauensvolle Informationsvermittlung und Kommunikationsmöglichkeiten auszuloten.
Die Form der Informationsvermittlung muß geeignet sein, die Adressaten direkt zu erreichen, um ihr die beabsichtigten Botschaften vermitteln zu können. Da mit der äußeren Form der Botschaft und mit der Gestaltung der Übermittlungssituation auch auf die Rezeption des Inhalts durch den Adressaten Einfluß genommen wird, muß das Medium kompatibel zur Lebenswelt der Zielgruppe gewählt und gestaltet werden.
In den folgenden Abschnitten sind verschiedene Zugangswege zu den Adressaten dargestellt.
Periodisch erscheinende Printmedien sind grundsätzlich in zwei Kategorien zu unterscheiden:
Massenmedien (regional und überregional), die eine breite Öffentlichkeit ansprechen, deshalb jedoch nicht die durch Drug-Checking-Maßnahmen anvisierte Zielgruppe, und
Szenemedien, die in der engeren Zielgruppe eine hohe Akzeptanz und Verbreitung genießen, sich jedoch nicht dazu eignen, weitere Personen aus anderen Gesellschaftskreisen informieren zu können.
Beide Arten von Printmedien können beim Warnen vor gefährlichen Inhaltsstoffen eine wichtige Rolle spielen, indem sie (in den Massenmedien schnell, in den Szenemedien mit zusätzlicher Hintergrundinformation) sich gegenseitig ergänzend eine optimale Möglichkeit zur Verbreitung von dringlichen Warnhinweisen bieten. Beim Warnen vor gefährlichen ("schlechten") Pillen ist die Visualisierung (Logo, Form, Vorhandensein einer Bruchrille, Konsistenz und Farbe) ein wichtiger Faktor zur schnellen Rezeption der Information durch die Drogengebraucher.
Massenmedien im Printbereich erreichen (neben dem Fernsehen) die größte Verbreitung. Für die Arbeit vor Ort spielen sie keine vordergründige Rolle. Neben der Nutzung zur Publikation der erwähnten Warnhinweisen können sie aber dazu dienen, allgemeine Hintergrundinformationen zum Drug-Checking-Programm zu verbreiten. Dadurch wäre ein wichtiger Beitrag zur gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung zu Fragen bezüglich des Konsums illegalisierter Substanzen erfüllt. Regionalzeitungen können ferner dazu genutzt werden, Informationsveranstaltungen und andere Aktionen im Zusammenhang mit dem Programm anzukündigen und Hinweise auf die szenespezifischen Medien zu geben, durch die dann weitere detaillierte Informationen verfügbar gemacht werden.
Szenemedien sind dadurch gekennzeichnet, daß sie in besonderer Weise Gruppen von Jugendlichen und Jungerwachsenen ansprechen, unter denen der Gebrauch von synthetischen Drogen signifikant höher verbreitet ist als in der Normalbevölkerung, wie zum Beispiel junge Leute, die sich regelmäßig in Bars und Clubs aufhalten oder Besucher von Raves und Parties. Bei diesen Szenemedien handelt sich in Deutschland in erster Linie um Zeitschriften, in denen die Rezension von Tonträgern elektronischer Musik ein wichtiges Element darstellt (z.B. De Bug, Groove, Loop, Mushroom, Spex, etc.) und solche, die sich als regionale Veranstaltungskalender für die Musikszene verstehen (z. B. Flyer, Partysan, etc.). Redakteure dieser Medien sind in der Regel aufgeschlossen und interessiert an Hintergrundinformationen zum Drogengebrauch in der jeweils angesprochenen Szene, so daß man davon ausgehen kann, daß sowohl eine großzügige Vorberichterstattung als auch eine kontinuierliche Zusammenarbeit zur Verbreitung von Warnhinweisen möglich wäre. Formen dieser Art von Kooperation sind bereits existent, zum Beispiel die Warnung vor Atropin-Pillen in der ständigen Rubrik "Böse-Pillen" der DROBS Hannover im german trance guide mushroom. In den Niederlanden existiert dieser Art von Zusammenarbeit seit vielen Jahren.
Mittels spezieller Broschüren wird derzeit
von privaten Organisationen wie auch von amtlichen Stellen Aufklärungsarbeit
in Sachen Partydrogen geleistet. Die Qualität dieser Broschüren
ist jedoch nicht immer den Anforderungen adäquat. So bewertet
die Autorin des Info-Buches "Ecstasy, Mushrooms, Speed
& Co.", Nadja Wirth, zwei Partydrogen-Broschüren
im Vergleich wie folgt: "Den Mitarbeitern von Eve &
Rave e.V. Berlin wurden und werden viele politische Stolpersteine
in den Weg gelegt, was sich unter anderem im zeitweisen Verbot
ihrer Safer-Use-Partydrogen-Broschüre zeigt. Diesem in
meinen Augen sehr wertvollen und szenenahen Heft soll zum Vergleich
ein Informationsheft über Drogen, herausgegeben vom Staatsministerium
für soziales, Gesundheit und Familie, Sachsen,
gegenübergestellt
werden, das meiner Meinung nach sofort auf den Index
für jugendgefährdende Schriften gesetzt werden sollte,
wie es für die ‘Partydrogenbroschüre’ gefordert wurde.
Im Kapitel über MDMA werden gefährliche Falschinformationen
gegeben, die Konsumenten in größte Schwierigkeiten
bringen können: ‘Weitere Designer-Drogen mit analoger und
ähnlicher Wirkung sind z.B. MDA, PCP (Deckname Engelsstaub)
DMT (amer. AMT) und DOM (Deckname STP, speed)
. Die Drogen PCP
und DOM haben weder analoge noch ähnliche Wirkungen mit
MDMA. [...] PCP ist für seine unberechenbare Wirkung berüchtigt:
in hohen Dosierungen unter Umständen Realitätsverlust,
Aggressivität und Schmerzunempfindlichkeit. Die Einnahme
von DOM führt zu sehr starken Halluzinationen, die ungefähr
17 Stunden anhalten. Zudem ist Speed der Straßenname von
Amphetamin, nicht von DOM, was ebenfalls zu Verwechslungen führen
kann. Mit diesen ‘Informationen’ kann es passieren, daß
drogenexperimentierende Jugendliche, die ‘etwas ähnliches’
wie MDMA probieren wollen, zu PCP oder DOM greifen und somit
unvorbereitet in lang andauernde angstauslösende ‘Trips’
geschickt werden. Die psychischen und unter anderem auch die
körperlichen Folgen sind dabei unkalkulierbar."
Außer der Tatsache, daß durch Falschinformationen,
wie sie in der amtlichen Broschüre aus dem Freistaat Sachsen
verbreitet werden, der akuten Gefahr einer schwerwiegenden Schadensmehrung
Vorschub geleistet wird, mindern solche abstrusen Ausführungen
die Vertrauenswürdigkeit einer solchen Broschüre herausgebenden
Institution, in diesem Fall das Staatsministerium für Gesundheit,
Soziales und Familie. Anderseits wirbt das gleiche Staatsministerium
unisono mit dem Staatsministerium für Kultus in Sachsen
für Drug-Tests. In der von diesen beiden Ministerien herausgegebene
Broschüre "Partydroge Ecstasy – Wirkung, Risiko,
Prävention" heißt es unter dem Titel: "Wer
weiß was drin ist?: Bei sogenannten Drug-Tests, die von
Suchthilfeeinrichtungen angeboten werden, kann man die Präparate
anonym und kostenlos auf ihre Bestandteile prüfen lassen."
Sachsen ist hier vorbildlich und bislang das einzige Bundesland,
das öffentlich für Drug-Checking wirbt und diesen
Service auch anonym und kostenlos anbietet!
Zur Gestaltung von Informationsbroschüren
zum Thema Drogen braucht es nicht nur den guten Willen, sondern
vor allem viel Fachkompetenz. Inhaltlich sachlich, klar und
fundiert abgefaßte Broschüren in geeignetem Format
und Layout genießen bei Jugendlichen eine sehr hohe Akzeptanz,
sofern sie gegen Spende oder kostenlos und direkt in der Szene
abgegeben werden. So mußten die Fachbroschüren im
A6-Format (Westentaschenformat) "Ecstasy und Techno"
und "Zauberpilze bei uns"
vom Bündnis
90/Die Grünen jeweils kurz nach Erscheinen wegen der großen
Nachfrage nachgedruckt werden. Broschüren im A6-Format
sind sicherlich ein geeignetes Medium, um Drug-Checking-Resultate
in Verbindung mit Safer-Use-Regeln in effizienter Weise dem
Zielpublikum zu vermitteln.
Seit mehr als drei Jahren werden die Ergebnisse
der Laboranalysen von Ecstasy-Pillen im deutschsprachigen Raum
im Internet veröffentlicht. Ab dem 6. September 1996 waren
die aktualisierten Resultate der Analysen, die Eve & Rave
e.V. Berlin beim Gerichtsmedizinischen Institut der Humboldt
Universität in Auftrag gegeben hatte, bei der Informationszentrale
gegen Vergiftungen der Uni Bonn über Internet abrufbar.
Wie auf verschiedenen Fachkongressen zu erfahren war, wurde
von diesem Service international reger Gebrauch gemacht. Ärzte
und Wissenschaftler aus dem In- und Ausland hatten somit die
Möglichkeit, genaue Daten über die Zusammensetzung
der im Umlauf befindlichen Pillen zu erhalten.
Im April 1998
richtete Eve & Rave Schweiz eine Homepage und Mailbox ein.
Die Untersuchungsergebnisse der Pillenanalysen, wie auch vielfältige
andere Informationen zur Thematik, konnten nun auch in der "Internet-Drogenberatung"
von Eve & Rave Schweiz abgefragt werden.
Das Internet dient auch als Kommunikationsbasis für diverse Netzwerke aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Diese Netzwerke werden auch zur Verbreitung von aktuellen Warnhinweisen vor unbekömmlichen Ecstasy-Pillen genutzt. So gehen diese Art von Informationen regelmäßig an diverse Netzwerkverteiler, wie zum Beispiel "Sonics – Cybertribe Netzwerk für Rhythmus und Veränderung", dem mehr als zwei Dutzend Szeneorganisationen angeschlossen sind.
Positive Erfahrungen mit der "Drogenberatung
Online" machte zum Beispiel auch der Verein Jugendberatung
und Jugendhilfe (JJ) in Frankfurt am Main, der im Oktober 1997
eine virtuelle Drogenberatung im Internet einrichtete . Dieses
Projekt wurde ins Leben gerufen, um mit den Konsumentengruppen
jenseits der bestehenden Angebote der etablierten Drogenhilfe
in Kontakt treten zu können. So besteht im Internet die
Chance, durch Vermittlung interessanter Informationen zu den
einzelnen psychoaktiven Substanzen, einen anonymen ersten Kontakt
mit dieser Konsumentengruppe aufzunehmen.
Die Nutzung des Internets schafft für
die Drogenhilfe neue Kommunikationsstrukturen in der Beratungstätigkeit.
Das allgemeine Beratungsangebot wird zeitlich nicht durch festgelegte
Öffnungszeiten begrenzt, ist ständig erreichbar und
bietet zudem direkte interaktive Kommunikationsmöglichkeiten.
Der Chat der "Online Drogenberatung" in Frankfurt
ermöglicht zusätzlich die unmittelbare Kommunikation
zwischen Interessierten oder Ratsuchenden mit den Drogenberatern
per Tastatur in Echtzeit. Alle Teilnehmer können hier anonym
miteinander kommunizieren. Der Chat wird jeweils montags bis
donnerstags zwischen 15 und 18 Uhr von den Mitarbeitern der
Beratungsstelle moderiert. Jede Person, die sich im Chat einlogt,
kann den gesamten Gesprächsverlauf verfolgen sowie eigene
Beiträge einbringen und Fragen stellen. Wird eine private
Beratung gewünscht, können die Kommunikationspartner
in einen separaten virtuellen Raum wechseln. Im sogenannten
"private room" kann der Gesprächsverlauf nicht
von den übrigen Teilnehmern verfolgt werden. Der hohe Anteil
von Problemansprachen sowie das erstaunlich seltene Auftreten
von störenden Verhalten belegen die Ernsthaftigkeit der
Nutzung.
Die Chat-Protokolle vermitteln sehr deutlich,
daß die Konsumenten dieses Angebot der Beratungsmöglichkeit
unbefangen nutzen und akzeptieren. Zu 90 Prozent bestand bei
den Klienten zuvor kein Kontakt zu einer Einrichtung der Drogenhilfe.
Das heißt, daß durch die Internetberatungsstelle
eine Zielgruppe erreicht wird, die sich bislang von den etablierten
Beratungsstellen nicht angesprochen fühlte.
Kurz nach Beginn des Drug-Checking-Programms
von Eve & Rave e.V. in Berlin im Februar 1995 richtete der
Verein eine Telephon-Hotline für Ecstasygebraucher ein.
Die "rave-safe-line", ein Service von der Szene
für die Szene, löste positive Reaktionen in der Szene
aus . Viele Raver nahmen diesen Service in Anspruch, um sich
zielgerichtet über die Inhaltsstoffe bestimmter im Umlauf
befindlicher Pillen zu informieren. Natürlich sind über
diese Hotline auch viele andere Informationen zu Wirkungen,
Risiken, etc. abgefragt worden. Nach der durch die Staatsanwaltschaft
erzwungenen Unterbrechung des Drug-Checking-Programms in Berlin
wurde der Service über die "rave-safe-line"
eingestellt.
Ebenfalls seit Februar 1995 können bei
der DROBS in Hannover auch telephonisch Informationen bezüglich
Inhaltsstoffe von Ecstasy-Pillen erfragt werden.
Anders als die beiden oben bezeichneten Hotlines,
die als Informationsquelle für Leute aus der Szene eingerichtet
wurden, installierte der Therapieladen in Berlin eine "Ecstasy-Infoline"
als Informationsquelle für den Therapieladen, das heißt,
die besagte Hotline wurde vornehmlich zur Beschaffung von Informationen
aus der Szene genutzt und nicht zur Informationsvermittlung
an Ratsuchende, wobei natürlich auch bei Bedarf Fragen
von anrufenden Personen beantwortet wurden. Die "Ecstasy-Infoline",
die im November 1995 eingerichtet wurde und bis Februar 1996
geschaltet war, wurde trotz Verbreitung der Infonummer durch
Flyer, Rundfunk und Printmedien nur schwach genutzt. In den
drei Monaten konnten 246 teilstandardisierte Fragebögen
(zum Drogenkonsum und zu Komplikationen) auf Basis von Gesprächen
mit anrufenden Personen ausgefüllt werden. Aufgrund der
geringen Teilnahme ist das Ergebnis nicht repräsentativ,
aber es war wegweisend für Einrichtungen der etablierten
Drogenhilfe, die bislang wenig Informationen zur Thematik hatten.
Nur etwa 10 Prozent der Befragten wünschten eine Weitervermittlung
in die Beratungsstelle . In der Folge wurden an verschiedenen
Orten in Deutschland spezielle Hotlines für Partydrogenkonsumenten
eingerichtet, so auch von der Hamburgischen Landesstelle gegen
die Suchtgefahren, Büro für Suchtprävention,
im Rahmen des "Ecstasy-Projektes".
Eine Drug-Checking-Hotline sollte rund um die Uhr 24 Stunden täglich an sieben Tagen in der Woche erreichbar sein, damit jederzeit das Erfragen der Testergebnisse möglich ist. Insbesondere kann so bei Bedarf jederzeit vor gefährlichen Pillen gewarnt werden und Notfallärzte können uneingeschränkt Informationen über die Dosierung von im Umlauf befindlichen Pillen abfragen. Des weiteren sollte man über die Hotline Hintergrundinformationen zum Drug-Checking abfragen können. Die Hauptaufgabe einer Drug-Checking-Hotline ist jedoch, den Einsendern von Pillen und anderen Proben auf Grund der Codenummer die Ergebnisse der Analyse zu vermitteln.
Natürlich ist es auch Aufgabe dieser Hotline, den anrufenden Personen Adressen von Drogenberatungsstellen und Szeneorganisationen mitzuteilen, bei denen sie Proben zur Analytik abgeben können und sich auch entsprechend beraten lassen können. Ebenso muß der Service der Hotline auf die Publikationen im Internet wie auch in den Printmedien bezüglich Drug-Checking informieren können. Auch Termine von Veranstaltungen zum Thema wie beispielsweise Seminare und Workshops über Dosis, Set und Setting oder über pharmakologische Wechselwirkungen beim Drogenmischkonsum oder auch über Erfahrungen zur persönlichen Verarbeitung eigener durch Drogen beeinflußte Erlebnisse.
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A. Schroers, W. Schneider: Drogengebrauch und Prävention im Partysetting. Eine sozial- ökologische Evaluationsstudie. Forschungsbericht, a.a.O., S.46 f.
Ebd.: S. 164.Vgl. zur Glaubwürdigkeit der Informationsquellen die Evaluation des Präventionsprojekt Mind Zone. Hier rangiert in der Hierarchie der Glaubwürdigkeit die Tagespresse an letzter Stelle auf Platz 12 und Radio/Fernsehen auf Platz 8 der von 12 zur Auswahl angegebenen und zu bewertenden Informationsquellen: J. Künzel; Ch. Kröger; G. Bühringer: Evaluation des Präventionsprojekts MIND ZONE, in: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Prävention des Ecstasykonsums – Empirische Forschungsergebnisse und Leitlinien; Dokumentation eines Statusseminars der BZgA vom 15. Bis 17. September 1997 in Bad Honnef, a.a.O., S. 152.
V. Schmidt: Alte Politik gegen neue Drogen? Deutungsmuster in der drogenpolitische Debatte – die Beispiele Cannabis und Ecstasy. Eine Inhaltsanalyse der bundesdeutschen Tages- und Wochenpresse 1967-1972 und 1992-1997, wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra Artium der Universität Hamburg, Hamburg 1998, S. 96. Veröffentlicht unter Verena Schnidt: "Alte" Politik gegen "neue" Drogen? Cannabis in den 60ern/70ern und Ecstasy in den 90ern: Zwei bundesdeutsche "Jugenddrogen" – Debatten im Vergleich, herausgegeben von INDRO e.V., Berlin 1998.
AFP: Neue Designer-Droge in deutscher Techno-Szene aufgetaucht – Zahl der Drogentoten drastisch gestiegen. Agenturmeldung vom 20.06.1998. DPA: Mehr Drogentote – Drogenbeauftragter warnt vor "Liquid Exstasy". Agenturmeldung vom 21.06.1998. AP: Bundesregierung warnt vor neuer Designerdroge. Agenturmeldung vom 21.06.1998.
Somsanit® ist ein eingetragenes Warenzeichen der Dr. Franz Köhler Chemie GmbH. Anwendungsgebiete des intravenösen Narkotikums: Kaiserschnittentbindungen und Geburtsanästhesie, Unfallchirurgie und Risikofälle aller Art, langandauernde Operationen, Patienten mit Leberschäden, Herzkathetisierung, Neurochirurgie und Kinderchirurgie.
A. Spilker: Lintner tritt den Rückzug an. Vermeintliche Superdroge "Liquid Ecstasy" existiert nur in der Phantasie, in: Kölner Stadtanzeiger vom 23. Juni 1998.
o.A.: Neue Party-Droge in Berlin aufgetaucht. Literweise "Liquid Ecstasy" gefunden, in: Der Tagesspiegel vom 2. November 1999.
o.A.: Vorsicht, flüssiges Ecstasy in Berlins Szene aufgetaucht. LKA-Fahnder hoben Drogenlabor aus – als harmlose Hustentropfen getarnt, in: BZ vom 2. November 1999, S. 16; Vgl.: o.A.: Todesdroge Ecstasy Liquid in Techno-Szene entdeckt, in: Berliner Kurier vom 2. November 1999; Vgl.: E. Pallenbach: Der Horrortrip aus der Plastikflasche. Wirkungen und Gefahren der neuen Partydroge "Liquid Ecstasy", in: Deutsche Apotheker Zeitung Nr. 43 vom 28. Oktober 1999, S. 58-63.
V. Schmidt: Alte Politik gegen neue Drogen? Deutungsmuster in der drogenpolitische Debatte – die Beispiele Cannabis und Ecstasy. Eine Inhaltsanalyse der bundesdeutschen Tages- und Wochenpresse 1967-1972 und 1992-1997, wissenschaftliche Hausarbeit zur Erlangung des akademischen Grades einer Magistra Artium der Universität Hamburg, a.a.O., S. 99 ff.
J. Wilhelm: Medien-Resonanz-Analyse: Berichterstattung zu Ecstasy in der Jugendpresse und überregionalen Tagespresse unter quantitativen und qualitativen Aspekten, in: Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Prävention des Ecstasykonsums – Empirische Forschungsergebnisse und Leitlinien; Dokumentation eines Statusseminars der BZgA vom 15. bis 17. September 1997 in Bad Honnef, a.a.O., S 139.
H. Ahrens: safer-use-info zu: ecstasy, speed, kokain, lsd; herausgegeben von Eve & Rave e.V. Berlin, Berlin 1994, 1995, und: Eve & Rave (Hg.), H. Ahrens, K. Fischer, T. Harrach, J. Kunkel: Partydrogen 97. safer-use zu: ecstasy, speed, kokain, lsd und zauberpilzen, Berlin 1997.
Freistaat Sachsen, Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie: Drogen, was ist drin, was ist dran und was ist dann?, Dresden 1993, 1995, 1996, 1998.
N. Wirth: Ecstasy, Mushrooms, Speed & Co. Das Info-Buch, Düsseldorf 1997, S. 229 f.
Freistaat Sachsen, Staatsministerium für Soziales, Gesundheit und Familie / Staatsministerium für Kultus: Partydroge Ecstasy – Wirkung, Risiko, Prävention, Dresden 1998, S. 5.
Bündnis 90/Die Grünen (Hg.): Ecstasy und Techno. Informationen zur Wirkung, den gesundheitlichen Risiken und den juristischen Folgen des Ecstasykonsums sowie Forderungen zur Verbesserung der Situation für User von Partydrogen, Berlin und Bonn 1996, 1997, 1998.
Bündnis 90/Die Grünen (Hg.): Zauberpilze bei uns. Informationen zu Wirkung, gesundheitlichen Risiken, (historischem) Gebrauch, der rechtlichen Seite halluzinogener Pilze sowie Forderungen zur Neubewertung des Umgangs mit diesen Pilzen und anderen Drogen, Berlin und Bonn 1997, 1998.
H. Cousto: Drug-Checking. Qualitative und quantitative Kontrolle von Ecstasy und anderen Substanzen, zweite überarbeitete und aktualisierte Auflage, a.a.O., S. 136 f.
H. Cousto: Eve & Rave. Vereinskonzept und Tätigkeitsbericht Berlin, Kassel, Köln, Münster, Schweiz, a.a.O., S. 23.
Als chat bezeichnet man einen virtuellen Konferenzraum im world wite web, indem es möglich ist, gleichzeitig mit mehreren Personen online zu kommunizieren
S. Borse: Drogenberatung Online, in: BINAD-INFO Nr. 14, Münster 1999, S. 71 -76. Zu erreichen ist die "Drogenberatung Online" unter http://www.drogenberatung-jj.de. E-Mail: drogenberatung-jj@drogenberatung-jj.de. Die Drogenberatung Online ist bei der Fachstelle für synthetische Drogen der "Jugend- und Drogenberatung Am Marienplatz" in Frankfurt am Main angesiedelt. Im Zeitraum vom 10.10.97 bis 30.09.98 erhielt die Internetberatungsstelle insgesamt 614 E-Mail-Anfragen, 300 Anfragen von Konsumenten, 108 Anfragen von Angehörigen und 206 Anfragen von Multiplikatoren aus den Bereichen der Jugend- und Drogenhilfe, dem Gesundheitswesen sowie von Lehrern.
P. Hohnhaus: Eve & Rave, in: Daily Flyer vom 21. April 1995, S. 6. (Daily Flyer war eine Sonderausgabe des Berliner Flyer und erschien während der Chromapark-Ausstellung im E-Werk im April 1995 täglich).
L. Grube: Die Präventionsarbeit der DROBS Hannover, in: Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen (Hg.): JedeR mag jedeN. XTC – eine Droge im Widerstreit. Dokumentation der Anhörung vom 18. März 1996 in Bonn, Bonn 1996, S. 34.
H.P. Tossmann: Ecstasy – Konsummuster, Konsumkontexte und Komplikationen. Ergebnisse der Ecstasy-Infoline, in: Deutsche Hauptstelle gegen die Suchtgefahren (Hg.): DHS-Informationen 1/96, S. 34.
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