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Sonics-Seminar 2004

Sachbericht zum Sonics-Seminar 2004 der Deutschen Aidshilfe e.V.


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3. Tagungsverlauf

3.1. Vorstellungs- und Einführungsrunde

Großen Wert wurde auf die Vorstellungsrunde gelegt, in deren Verlauf die Teilnehmer ihre persönlichen und beruflichen Hintergründe schilderten. Anschließend folgte die Klärung des Seminarablaufs. Für den Samstagnachmittag wurde die Einsetzung von drei Arbeitsgruppen zu den Themen "Safer Clubbing", "Safer Sniefen" und "Sonics-Cybertribe-Festival" beschlossen und eine Einteilung der Teilnehmer vorgenommen.

Die Sprecher des Sonics-Netzwerks Adam Zawadzki und Tibor Harrach schilderten einige Aktivitäten aus dem Jahr 2003. Hervorzuheben sind dabei die Teilnahme an folgenden Fachtagungen, an denen sich Sonics-Netzwerkler aktiv einbringen konnten:

  1. Expertengespräch "Ecstasy – Bedeutung aktueller Forschungsergebnisse für Prävention und Risikobewertung" am 15.5.2003 im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) in Berlin. Die offizielle Dokumentation hierzu wurde vorgestellt , ein Bericht aus Sicht der Sonics-Sprecher wurde im Internet veröffentlicht.

  2. Fachtagung "Pill-Testing, Ecstasy und Prävention" der Niedersächsischen Landesstelle Suchtgefahren am 20.5.2003 in Hannover. Der Abschlussbericht einer auf der Tagung vorgestellten, EU-geförderten Evaluationsstudie liegt vor .

  3. Expertengespräch "Hepatitis – Verbesserung der Hepatitis-Prävention und Behandlung für Drogenabhängige" am 5.10.2003 im Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMGS) in Berlin. Ein Briefwechsel zwischen Sonics und den relevanten Bundesbehörden BMGS, Robert-Koch-Institut (RKI) und der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) bezüglich der Einschätzung des Infektionsrisikos mit u.a. Hepatitis C beim nasalen Drogengebrauch ging dieser Veranstaltung voraus. Eine offizielle Dokumentation der Fachtagung liegt mittlerweile vor .

 

 

3.2. Einführungsreferat von Adam Zawadzki: "Was ist Sonics?"

Zum Abschluss des Freitagabends hielt Adam Zawadzki ein Einführungsreferat zu dem Thema "Was ist Sonics?", in dem er auf die Ideen, Strukturen und Realitäten des Netzwerkes einging:

Man kann das Sonics-Netzwerk einerseits positiv definieren: Menschen und Artgenossen mit verschiedensten Interessen, Projekte oder Organisationen, aber auch das Kommunizieren über die Mailingliste, persönliche Kommentare – kurz: eine Heterogenität ohne festen, abso Punkt, eher einem Spannungsfeld gleich, welches sich zwischen den unterschiedlichen Polen kreiert. Nach "außen" hin ist "harm reduction" das verbindende Element. Im "Innern" jedoch definiert sich jede einzelne Sonics durch seine Differenz zur anderen.

Zwischen den einzelnen Elementen [des Netzwerks] herrschen Austausch und Rearrangement sowie Synthese zu neuen Teilen, wobei sich alte auflösen können oder innerhalb des Spannungsfeldes neue Schnittmengen bilden – Bewegung und Dynamik.
Anstatt zu definieren, was das Sonics-Netzwerk ist, bietet es sich ebenfalls an, jenes zu umschreiben, zu distanzieren und zu assoziieren, was es nicht ist: Eine nicht-statische/-feste Gesellschaftsstruktur, kein Bürgertum im konventionellem Sinne, keine beständige Machthierarchie. Denn gerade in Gegensätzen bzw. Widersprüchen liegt ein zunächst unscheinbares Potenzial!!!

Keine Zwänge, kein Alpha-Tier und keine kommerziellen Interessen.

Sonics ist, anders gesagt, die Selbstorganisation der Szene(n)-Selbstorganisation. Die kleinsten gemeinsamen Nenner sind: Mailingliste, Gespräche, Telefonate; Pro Drug-Checking; "Harm-reduction", Safer Clubbing; Ecstasy (und andere)-Fachtagung(en) beim BMGS; Hanfdemo; Cybertribe-Open-Air-Festival; dieses Meeting; Party und gemeinsames Feiern.

All das sind verschiedene Türen zu ein und demselben (Personen-)Raum. D.h. man kann das Netzwerk auch als eine Art [Forum/ Plattform] auffassen, wo sich viele verschiedene Personen treffen. Der Raum kann aber auch als Ort der Entfaltung verstanden werden und ist somit metaphorisch zu interpretieren.

Eigentlich ist das die nahe liegendste Definition: Die Leute, die in letzter Zeit präsent waren, das, was die Leute miteinander teilen. Mit dem Sonics-Seminar 2004 haben wir einen Raum, in dem sich viele Linien treffen, quasi multilinear. [Dabei] Ebene des Seminars ist nur eine von vielen ...

Sonics ist das, was wir draus formen!

 

 

3.3 Fachvorträge

Am Samstagvormittag wurden drei Fachvorträge zu szenerelevanten Themen gehalten. Im Anschluss zu jedem Vortrag gab es Gelegenheit, Fragen an den Referenten zu stellen und die Inhalte zu diskutieren.

 

3.3.1 Vortrag von Dr. Jürgen Skrabal: "Kava-Kava – ein traditionelles Genuss- und Heilmittel in der Kritik"

Die Arbeit in der Seminargruppe wurde am Samstagvormittag um 10.00 Uhr mit einem anschaulichen Power-Point-Vortrag von Dr. Jürgen Skrabal (Phytopharm Consulting, Berlin) zum Thema "Kava-Kava – ein traditionelles Genuss- und Heilmittel in der Kritik" eröffnet:

Kava habe eine mehr als zweitausend Jahre alte Tradition als Genuss- und Heilpflanze im Südpazifik. Zubereitungen aus den Wurzeln der Pflanze werden als beruhigendes rituelles Getränk verabreicht. In Europa würden Kava-Zubereitungen mit großem Erfolg seit 1886 medizinisch angewendet, um an Stress- und Angstsymptomen leidende Patienten zu behandeln. Die traditionelle rituellen Anwendungen umfassen formelle und weniger strikt verlaufende Kava-Zeremonien, die u. a. der Begrüßung von Gästen dienen. So zeigte Dr. Skrabal Bilder von dem kavatrinkenden Papst Johannes Paul II. und der kavatrinkenden Königin Elisabeth II. von England, die bei solchen Begrüßungsritualen auf südpazifischen Inseln entstanden seien. Während seiner langen traditionellen und medizinischen Anwendung hätten Zubereitungen aus Kava keinerlei schwere Nebenwirkungen gezeigt. Ende 2001 jedoch sei Kava zunehmend in die Schusslinie der Gesundheitsbehörden Deutschlands und der Schweiz geraten. Auslöser hierfür seien eine geringe Anzahl von Fällen mit Leberschäden, die, wie sich herausstellte, fast ausschließlich zu Unrecht mit der Einnahme von kavahaltigen Produkten in Verbindung gebracht worden seien. Dies hätte zu einer Neubeurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses von Kava-Zubereitungen und schließlich zum ungerechtfertigten Entzug der Arzneimittelzulassung von Kava-Produkten durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) geführt. Diesem Beispiel seien zahlreiche Gesundheitsbehörden europäischer und nicht-europäischer Staaten gefolgt. Dieses Verbot stelle eine Katastrophe für die Wirtschaft einiger pazifischer Inselstaaten dar und gefährde die Lebensgrundlage großer Teile der ländlichen Bevölkerung. Auf Anfrage einiger betroffener ACP-Staaten hin, habe das "Centre for Development of Enterprise" (CDE) Phytopharm Consulting beauftragt, auf der Basis aller verfügbaren Informationen zu Kava und den Nebenwirkungsfällen ein Sachverständigengutachten zu erstellen und zu beurteilen, ob die Restriktionen der meisten EU-Mitgliedstaaten gerechtfertigt seien. Der vollständige, englischsprachige Report "In-depth investigation into EU member states market restrictions on kava products" könne auf der Homepage von Phytopharm heruntergeladen werden.

Reaktionen der Teilnehmer, Diskussion

Der Vortrag löste unter den Teilnehmern des Sonics-Seminars eine lebhafte Diskussion über Sinn und Unsinn gesundheitsbehördlicher Maßnahmen aus. So wurde großer Unmut darüber geäußert, dass besonders dann, wenn es um psychoaktive Substanzen geht, die auch als Genussmittel anwendbar sind, die Entscheidungen der Gesundheitsbehörden durch eine gehörige Portion Willkür gefärbt zu seien scheinen. In letzter Zeit wird eine zunehmende Repression in Bezug auf Präparate beobachtet, die (Trocken-)Extrakte psychoaktiver Pflanzen enthalten. Diese sog. "Herbals" erfreuen sich auch im Umfeld der Partyszene zunehmender Beliebtheit, ohne dass es hier zu nennenswerten gesundheitlichen Problemen kommt. Der Repressionsdruck auf den Handel mit diesen Herbals werde zu Unrecht mittels der strafrechtlichen Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes ausgeübt, obwohl es sich bei einer genussorientierten Zweckbestimmung eindeutig um Lebensmittel nach § 1 Lebensmittel- und Bedarfsgegenstände-Gesetz handele. Die von den Gesundheitsbehörden z.B. mittels Presseerklärungen gestreuten Falschinformationen zu rechtlichen und pharmakologischen Sachverhalten behindern eine sinnvolle Prävention und verspielen das Vertrauen von Konsumenten und Multiplikatoren in die Glaubwürdigkeit von Aussagen staatlicher Stellen. Seminarteilnehmern mit Kava-Erfahrungen im therapeutischen Setting – z. B. im HIV/AIDS-Bereich – bedauerten, dass sie ihre wirksamen und hilfreichen Kava-Arzneimittel nicht mehr über Apotheken erhalten können. Abschließend wurde die Frage erörtert, wer die Profiteure solcher behördlichen Fehlentscheidungen sind .

 

3.3.2 Vortrag von Hans Cousto: "DrogenMischKonsum – Variable der gesellschaftlichen Befindlichkeit"

Der nächste Vortrag wurde von Hans Cousto (Eve & Rave e.V. Berlin) in anschaulicher Art und Weise vorwiegend in freier Rede gehalten. Komplexere Sachverhalte skizzierte Cousto auf einer Flipchart.

Hans Cousto definierte Mischkonsum als gleichzeitigen Genuss verschiedener psychoaktiver Substanzen und benannte diverse Mischkonsumformen mit legalen, gesellschaftlich akzeptierten Genussmitteln. Es gebe aber auch viele Varianten anderer Arten des Mischkonsums von Drogen, die vornehmlich durch die gesellschaftliche Befindlichkeit determiniert werden. Hans Cousto erläuterte dann ausführlich die Trilogie von Drug, Set und Setting und stellte heraus, dass die gesellschaftliche Befindlichkeit dem "Setting" entspreche, "Drug" für die Qualität, Quantität und Kombinationen der eingenommenen Substanzen stehe, während "Set" die persönliche Befindlichkeit beschreibe. Hans Cousto stellte die herkömmliche Betrachtungsweise dieser Trilogie in der folgelogischen Reihenfolge Drug > Set > Setting dar, die bei einer gesellschaftspolitischen Betrachtungsweise in der kausalen Folge Setting > Set > Drug invertiert werden müsse, weil veränderte Rahmenbedingungen und Veränderungen in der gesellschaftlichen Befindlichkeit zu neuen Konsummustern und neuen Arten des Drogenmischkonsums führten. Anschließend erläuterte Hans Cousto Veränderungen im Drogen[misch]konsumverhalten seitdem in den 1960ern die massive Repression gegen bestimmte Drogen einsetzte, die mit der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Drogengebrauchern einherging. Einsetzende gesellschaftliche Gegenbewegungen wurden auch hierzulande brutal bekämpft. Abschließend beschrieb Hans Cousto die Verfolgung des amerikanischen Bewusstseinsforschers und Kultfigur der Flower-Power-Bewegung Timothy Leary durch die Regierung der USA, dessen Flucht in die Schweiz und spätere freiwillige Übersiedlung nach Afghanistan sowie seine Entführung aus Afghanistan durch US-amerikanische Regierungsorgane. Hans Cousto stellte einen Zusammenhang her zwischen Learys Entführung und den weiteren politischen Entwicklungen in Afghanistan, als deren Folge dieses Land heute zum Weltmarktführer auf dem Opiummarkt geworden sei. In dem Resümee seines Vortrags stellte Hans Cousto nochmals die Kontraproduktivität repressiver Maßnahmen bezüglich der Entwicklung problematischer Drogenkonsummuster heraus: "Nur politische, gesamtgesellschaftliche Maßnahmen, die für den einzelnen Menschen das Leben echt lebenswert machen und dem einzelnen Menschen eine positive Perspektive geben, vermögen den als Problem angesehenen Drogenkonsum in Bahnen lenken, so dass das Bedürfnis nach Drogen und die Befriedigung dieser Bedürfnisse nicht mehr zum gesellschaftlichen Problem eskaliert". Das vollständige Referat ist auf der Homepage von Eve & Rave Berlin veröffentlicht .

Reaktionen der Teilnehmer, Diskussion

Hans Cousto erzeugte durch seinen lebendigen Vortrag bei einigen Seminarteilnehmern beschwingte Erheiterung, bei anderen erstauntes Schweigen. Fast allen Zuhörern gelang es, die von Hans Cousto herausgearbeiteten Prinzipien in direkten Zusammenhang zu den Mechanismen des zuvor beschriebenen Kava-Kava-Verbots zu stellen. Kritisiert wurde die unscharfe Definition des Begriffs "Mischkonsum". So sei Mischkonsum nicht nur der gleichzeitige Genuss (positive Wertung) mehrerer psychoaktiver Substanzen, Mischkonsum sei vielmehr die gleichzeitige oder relativ zeitnahe Einnahme von mehreren psychoaktiven Substanzen, wobei aus der Überlappung der Substanzwirkungen eine Mischwirkung resultiere. Kontrovers diskutiert wurde auch die Frage, inwieweit die Trias von Drug–Set–Setting in einer hierarchischen Reihenfolge interpretiert werden kann oder ob die drei Kategorien nicht gleichberechtigt nebeneinander stehend zu veränderten Bewusstseinszuständen führen. Die Cousto’sche Sichtweise auf die Determination von Drogen[misch]konsum-Muster warf die grundsätzliche Frage auf, was Prävention überhaupt leisten kann, wenn Drogen[misch]konsum-Verhalten durch derart "globale" Mechanismen maßgeblich beeinflusst wird. Der so angestoßene Diskussionsprozess konnte im Verlauf des Wochenendseminars nicht befriedigend abgeschlossen werden und wird das Netzwerk wohl noch eine ganze Weile beschäftigen.

 

3.3.3 Vortrag von Dr. Joachim Eul: "Drogenmischkonsum in der Techno- und anderen Szenen"

Dr. Joachim Eul (Landesarbeitsgemeinschaft Drogen, Berlin) trug mittels Overheadprojektion die Ergebnisse einer epidemiologischen Studie in verschiedenen Szenen zu Lebenszeitprävalenzen und subjektiver Bewertung von Drogenzweierkombinationen vor.

Dr. Eul nannte als Ziel der Studie, mehr Einblick in die Praxis des Mischkonsums zu erhalten. Dazu wurde eine Fragebogenerhebung in verschiedenen sozialen Settings durchgeführt, von denen bekannt ist, dass u. a. illegalisierte Drogen konsumiert werden. Insgesamt wurden ca. 1.200 Personen mit Konsumerfahrung in die Studie einbezogen. Die Studienergebnisse wurden von Dr. Eul wie folgt zusammengefasst: Die Lebenszeitprävalenz der Mischkonsumerfahrungen mit Alkohol plus einer weiteren Droge lag bei ca. 90%. Alkohol und Cannabis wurden am häufigsten miteinander kombiniert: 88% der Personen, die Konsumerfahrungen mit der jeweiligen Einzelsubstanz besaßen, haben diese auch in Kombination gebraucht. Lebenszeiterfahrungen mit Kombinationen aus zwei illegalisierten Drogen seien dagegen seltener. Am häufigsten wurde ein Mischkonsum mit zwei illegalisierten Substanzen bei Angehörigen der Technoszene festgestellt, die Lebenszeitprävalenz betrug hier 65%. Die höchsten Prävalenzen wurden in der Alterstufe von 25–31 Jahre festgestellt. In der von Dr. Eul vorgestellten Studie wurden auch die subjektive Bewertung der Drogenmischwirkung abgefragt. Dabei zeigte sich, dass Kombinationen mit Cannabis von den Konsumenten überwiegend positiv bewertet wurden, lediglich bei den sehr selten vorkommenden Cannabis-Heroin-Kombinationen fiel die subjektive Bewertung überwiegend negativ aus. Die Lebenszeitprävalenz der Ecstasy- Speed-Kombination lag nur noch bei 28% und wurde immerhin von ca. 70% der Befragten als "eher gut" eingestuft. Ecstasy plus LSD hatten 28% der Befragten mindestens einmal im Leben in Kombination gebraucht, wobei 46% der Befragten diese Mischung subjektiv positiv bewerteten. Die Lebenszeitprävalenz von Ecstasy-Kokain-Kombinationen lag nur noch bei 14% und wurde aber von 52% der Befragten als positiv bewertet. Dr. Eul konnte zeigen, dass Kombinationen mit Heroin in der Partyszene praktisch keine Rolle spielen und die wenigen Mischkonsum-Ereignisse überwiegend negativ bewertet wurden, wobei hinsichtlich der subjektiven Bewertung Kokain-Heroin-Mischungen eine Ausnahme darstellen.

Dr. Eul stellte abschließend ein Diffusionsmodell vor, das erklärt, wie sich Drogenkonsumformen (hier "neue" Drogenkombinationen) in einer Szene verbreiten. Er unterteilte die Individuen in einer Szene in zwei Gruppen, die experimentierfreudigen Tester und die vorsichtigeren Nachahmer. Wenn eine neue Drogenkombination von den Testern als überwiegend positiv bewertet wird, wird sie auch von den Nachahmern übernommen und gelangt so in das kollektive Repertoire von Mischkonsummustern einer (Teil-)Szene.

Reaktionen der Teilnehmer, Diskussion

Die von Dr. Eul vorgetragenen Inhalte traf den Nerv der meisten Seminarteilnehmer. Mit Erstaunen wurde festgestellt, dass bestimmte Aspekte von Szeneleben sich durch Zahlenkolonnen darstellen lassen. Viele Inhalte deckten sich mit den eigenen Szene-Erfahrungen, dies traf insbesondere auf das abgeleitete Kommunikations- und Diffusionsmodell von Mischkonsum(Erfahrungen) zu. Kritisiert wurde die Darstellungsweise von Mischkonsum-Lebenszeitprävalenzen. Da der prozentuale Anteil nicht auf Basis der Gesamtstichprobe, sondern auf Basis der Probanden berechnet wurde, die Erfahrung mit den jeweiligen beiden Einzelsubstanzen hatten, resultierten zum Teil (erschreckend) hohe (Kunst-)Werte. So könnte z.B. die Präsentation der "nackten Zahl" von 70% Mischkonsumerfahrung bei Alkohol-Heroin-Kombinationen zu medialer Dramatisierung und entsprechend hysterisch gefärbten politischen Reaktionen führen. Bei der Diskussion der aus den Studienergebnissen abzuleitenden Konsequenzen kristallisierte sich heraus, dass zukünftig dem Phänomen Mischkonsum unbedingt mehr Beachtung geschenkt werden sollte. Weitestgehend Einigkeit wurde in der Bewertung von Mischkonsumverhalten als einem zielgerichteten und reflektierten Prozess anzusehen erzielt, für den ein akzeptierender Ansatz im Sinne von Safer Use und "Förderung von Drogenmündigkeit" entwickelt werden sollte. Eine klare Absage wurde einer Sichtweise erteilt, die Mischkonsum pauschal als eine chaotische und damit hochgefährliche Form von Polytoxykomanie betrachtet. Die hohen Prävalenzen von Mischkonsum von Alkohol mit einer weiteren Droge, auch wenn diese Kombination subjektiv als überwiegend nega­tiv bewertet wurde, wurde vor allem auf die gesellschaftliche Präsenz des Alkohols und einer z.B. durch den manipulativen Charakter von Werbung fehlgeleiteten Kommunikation zu dieser Substanz zurückgeführt. In diesem Zusammenhang wurde auf die Alkopop-Problematik hingewiesen: Eine Kombination von Alkohol, Zucker, sonstigen Aromastoffen und Werbung führt zu einem unreflektierten Mehrverbrauch insbesondere bei jungen Konsumenten.

 

 

3.4 Arbeitsgruppen

Am Samstagnachmittag bearbeiteten die am Vorabend eingeteilten Arbeitsgruppen die von der Seminargruppe beschlossenen Themen.

 

3.4.1 Arbeitsgruppe Safer Clubbing

Seit langem beschäftigen sich das Sonics-Netzwerk sowie Basisorganisationen mit der Erarbeitung von Konzepten, Techno- und Partyveranstaltungen gesünder und sicherer zu machen. Zahlreiche Seminare sind zum Thema Safer House bzw. Safer Clubbing absolviert worden. Auf Basis umfangreicher und langjähriger Erfahrungen der teilnehmenden Projektvertreter und Richtlinien zur Begründung des Safer-Clubbing-Labels in Zürich wurden Richtlinien für ein Sonics-Safer-Clubbing-Konzept diskutiert. In der Schweiz wird ein Safer-Clubbing-Güte­siegel von einem Verein mit Sitz in Zürich vergeben. Der Verein fördert den Informationsaustausch zwischen Partyveranstaltern und Präventionsorganisationen. Er bezweckt u.a. die Festsetzung und Durchsetzung von Mindeststandards für die Organisation und Durchführung von Partyveranstaltungen. Diese umfassen die Ausbildung von MitarbeiterInnen, das Bereitstellen bestimmter Räume (z. B. Sanitätsraum, Chill-Out), die Abgabe von bestimmten Präventionsmitteln (Ohrenstöpsel, kostenloses Trinkwasser, Infomaterial usw.). Einen besonderen Stellenwert bekommen die Zusammenarbeit mit Präventionsfachleuten sowie die Kooperation und der Informationsaustausch zwischen Safer-Clubbing-Labelveranstaltern. Auf diese Weise sollen Jugendschutz, Gewalt-, Sucht- und HIV-Prävention vor Ort in den Clubs ermöglicht und optimiert werden. Als Anerkennung für die Erfüllung der Auflagen erhalten die Clubs das Safer-Clubbing-Siegel. Anlass zur Diskussion ergab die hohe Bearbeitungsgebühr von 1000,– Schweizer Franken für das Aufnahmeverfahren zum Erhalt des Gütesiegels. Kleine, weniger kommerzielle Veranstalter werden so von dem Label ausgeschlossen. Grundsätzlich sollen alle Partyveranstalter für das Safer-Clubbing-Konzept ge­wonnen werden. Diskutiert wurden weiterhin folgende Fragen:

  1. Welche Inhalte sollen bei der Fortbildung von Partyveranstaltern, Sanitätern und Szenemultiplikatoren wie vermittelt werden?

  2. Wie ist ein Chill-Out sinnvoll zu gestalten (Größe, Beschallung, Belüftung, Sitzmöglichkeiten usw.)?

  3. Wie soll mit Problemfällen umgegangen werden? Was sind die Möglichkeiten und Grenzen einer "psychedelische Ambulanz"?

  4. Wie und wann können Aufsichtsbehörden unterstützend (sinnvolle Auflagenerteilung und Dooropening für Präventionsfachkräfte) und hemmend (z. B. Repression gegen Drogengebrauch) wirken?

  5. Welchen Stellenwert wird Dealern in einem Safer-Clubbing-Konzept zugewiesen? Darf Sonics diesbezüglich differenziertere Lösungen anbieten als die pauschale Hausverbots-Forderung des Züricher Safer-Clubbing-Labels?

  6. Reicht es für eine effektive HIV- und Hepatitis-Prävention aus, sich auf das Verteilen von Kondomen zu beschränken?

  7. Welche organisatorischen und strukturellen Maßnahmen können für Menschen mit HIV und AIDS das Partyleben gesünder machen?

Es wurden eine weitere Erörterung dieser Punkte auf der Mailingliste und die Option eines Sonics-Konzeptpapiers zur Safer-Clubbing-Thematik in Aussicht gestellt .

 

3.4.2 Arbeitsgruppe Safer Sniefen

Bereits auf dem Sonics-Seminar 2003 in Köln wurde von Tim Gluckman die Möglichkeit vorgetragen, sich durch das gemeinsame Benutzen von Snief-Röhrchen (z. B. Gerollten Geldscheinen) mit Infektionskrankheiten wie diverse Hepatitiden oder Herpes-Formen zu infizieren. Daraufhin hat sich das Sonics-Netzwerk, nach intensiver Literaturrecherche, schriftlich an die zuständigen Bundesbehörden (BMGS, RKI und der BZgA) gewendet. Die BZgA hat in ihrer Antwort eine umfassende Informationsbroschüre zur Hepatitis-Thematik angekündigt. In der Mitte 2003 erschienenen Broschüre "Hepatitis" wird zwar auf Übertragungsrisiken bei iv-Drogengebrauch hingewiesen, nicht aber bei nasalen Konsumtechniken. Am 5.10.2003 fand im BMGS (Berlin) das Expertengespräch "Hepatitis – Verbesserung der Hepatitis-Prävention und Behandlung für Drogenabhängige" des Robert-Koch-Instituts (RKI) statt, zu dem Tibor Harrach als Sonics-Vertreter eingeladen wurde. In dem Vortrag von Dr. Doris Radun (RKI) wurde nasaler Drogengebrauch als Risikofaktor für die Übertragung von Hepatitis C benannt. In der Dokumentation zur Fachtagung ist festgehalten, dass es bisher nur wenige (nationale) Erkenntnisse zu anderen Konsummustern und ihren Risiken als dem intravenösen Übertragungsweg bei Drogengebrauchern gebe, dass aber nasale Übertragungsrisiken vorhanden sind z.B. Durch das gemeinsame Benutzen von Röhrchen, und dass solche Rituale nur schwer zu durchbrechen sind. Daraus wird die Forderung abgeleitet, eine "Safer-Snief-Kampagne" in Bezug auf die Verhinderung des gemeinsamen Gebrauchs von Röhrchen, vor allem in der Technoszene (Fortbildungen, Flyer, Verteilung von Röhrchen), anzustreben . Die Vorbereitung einer solchen Kampagne war das Ziel der Sonics-Seminar-Arbeitsgruppe. Als inhaltliche Vorlage diente das Papier "Sauber sniffen" von J. Theisen (JES Bielefeld e.V.) .

Eine Kampagne zu sichererem nasalem Drogengebrauch in der Techno- und Partyszene sollte zusätzlich zu diesem JES-Papier auf folgende Aspekte eingehen:

  1. Verschiedene nasal applizierbare Substanzen in unterschiedlichen soziokulturellen Zusammenhängen darstellen.

  2. Vor Schädigungen durch Verunreinigungen und Streckmittel warnen.

  3. Bereits bei der Konsumvorbereitung auf eine Optimierung der hygienischen Rahmenbedingungen achten, z. B. durch Schaffung sauberer Flächen, Problembereiche wie Auto oder Toilette ansprechen.

  4. Auf die besondere Verletzungs- und Infektionsgefahren bei der Benutzung scharfkantiger Strohhalme ist hinzuweisen. Röhrchen aus bestimmten Kunststoffsorten sind diesbezüglich sicherer.

  5. Eindringlich auf die Nachteile wie limitierende Resorption und Austrocknung der Nasenschleimhäute sowie Abhängigkeitsrisiken von abschwellenden Nasensprays eingehen.

  6. Detaillierte Tipps zur Nasenpflege ausführen, u.a. sinnvolle Nasensprays, Nasenduschen, Salben und Öle benennen, auf Optimierung der Raumluftfeuchtigkeit eingehen.

  7. Aufführung einer Vorschrift zur Herstellung einer physiologischen Kochsalzlösung zur Nasenspülung.

  8. Alternative Möglichkeiten zum Sniefen (z.B. sprayen, orale Applikationsformen) benennen.

Eine Safer-Snief-Kampagne sollte Drogengebraucher bezüglich der Risiken beim unhygienischen Sniefen sensibilisieren und über Safer-Use-Maßnahmen informieren. Als Medien können Infoflyer, eine neu zu entwickelnde Broschüre (Titelvorschlag "Reinziehen!") sowie das Internet dienen. In Safer-Use-Broschüren zu Partydrogen soll zukünftig stets auch Safer Sniefen thematisiert werden. Die Verteilung von geeigneten Snief-Röhrchen ist unbedingt voranzutreiben.

 

3.4.3 Arbeitsgruppe Cybertribe-Festival
         Zusammenfassung von Wolfgang Sterneck:

Konsens herrschte weitgehend über den Charakter eines Cybertribe-Festivals: Zum einen soll es eine Veranstaltung sein, die sich wohl tuend von all den kommerziellen Entwicklungen abhebt, eine Party, auf der man sich "zu Hause" fühlt, sich ohne Bedenken fallen lassen kann und irgendwie diesen ursprünglichen gemeinschaftlich-ekstatischen "Spirit" spürt. Es soll auch eine Veranstaltung sein, auf der die Party-Politics – beispielsweise im Selbstkostenpreis einer Flasche Wasser (und das Bier entsprechend teurer) – zum Ausdruck kommen und man kein schlechtes Gefühl haben muss, wenn man an den Türstehern vorbeigeht etc.

Es sollen nach Möglichkeit die Safer Clubbing Kriterien erfüllt werden. Barrieren für behinderte Partygäste sind weitestgehend zu beseitigen. Um auch Menschen mit HIV und AIDS eine hohe Feierqualität zu bieten, werden Strukturen geschaffen, die z. B. Eine stressfreie und nicht (selbst)stigmatisierende Einnahme von Medikamenten sowie längere Ruhephasen ermöglichen. Einer Diskriminierung von HIV-positiven Partypeers durch Personal und andere Partygäste wird aktiv entgegengetreten.

Cybertribe-Festival steht auch für ein vielfältiges kulturelles Angebot, das weit über den musikalischen Bereich hinausgeht. Workshops, Vorträge, Lesungen, Filme, Diskussionsgruppen, Rituale, Ausstellungen ... Vom Trance-Tanz über den Drug-Checking-Workshop bis hin zur Film-Doku über Repression und Widerstand ... Und vor allem geht es auch darum, die Grenzen zwischen "konsumierendem Festival-Publikum" und "aktiven KünstlerInnen" zumindest in einzelnen Bereichen aufzuheben – damit es tatsächlich ein gemeinschaftliches Festival wird.

Kontrovers wurde die Eingangsfrage diskutiert, ob die Durchführung eines großen Festivals durch Sonics realistisch ist. Die "Skeptiker" im Workshop sprachen sich zwar auch für ein Festival aus, sie betonten jedoch den äußerst umfangreichen Arbeitsaufwand, da es uns als Sonics ausdrücklich darum geht, den herkömmlichen Festival-Rahmen aufzubrechen. Nicht zuletzt setzte das Festival '99 eine äußerst hohe Messlatte. Im Idealfall braucht man zur Durchführung Dutzende engagierter Leute und Gruppen in der Vorbereitung vor Ort und auch danach. Sonics ist jedoch ein Netzwerk, das über ganz Deutschland und die Schweiz verteilt ist – und im Grunde ist jedes Mitglied, ob als einzelne Person oder Projekt, in der Regel lokal mit zig Aufgaben beschäftigt, die oft genug völlig idealistisch durchgeführt werden, so dass kaum Energien für Sonics an sich oder gar ein Festival frei sind.

Diese Einwände wurden jedoch aufgehoben, nachdem sich einige Leute bereit erklärt hatten, sich um die technische, künstlerische und inhaltliche Organisation zu kümmern. Kein Konsens fand der Vorschlag, sich dem Freiraum-Festival der Mana Trayas anzuschließen. In der weiterführenden Diskussion spielten Aspekte wie biologische Toiletten und eine alternative Energieversorgung eine zentrale Rolle, die jedoch aus zeitlichen Gründen nicht ausdiskutiert wurden. Als praktische nächste Schritte wurde vereinbart, dass sich einzelne Leute verschiedene Locations anschauen und die Möglichkeiten abklären, dort ein Festival zu organisieren. Sobald die Location feststeht, soll das musikalische und inhaltliche Programm sowie die organisatorische Umsetzung detailliert besprochen werden. Als Termin für das Festival wurde Mitte August angesetzt.

 

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Fußnoten:

   

1.

Programm und Fotos zum Sonics-Seminar 2004 einschließlich der Party Samstagnacht im Rauchhaus (Kreuzberg) sind zu finden unter: http://www.sterneck.net/sonics/berlin2004/index.php

   

2.

http://pdf.bmgs.comspace.de/bmgs/temp/download2fbroschueren2fA6072epdf/index/

   

3.

A. Benschop, M. Rabes, DJ. Korf: Pill Testing, Ecstasy & Prävention; Rozenberg Publishers, Amsterdam

   

4.

http://pdf.bmgs.comspace.de/bmgs/temp/download2fbroschueren2fA6082epdf/index/

   

5.

Auszug aus der DAH-Broschüre "Komplementäre Therapien" (2003): Bei Kava-Kava handelt es sich um Zubereitungen aus dem Wurzelstock des Rauschpfeffers. Kava-Kava enthält neben Flavonoiden vor allem Kava-Pyrone, die beruhigend, angstlösend, muskelentspannend, lokal betäubend entkrampfend und antientzündlich wirken. Kava-Kava-Präparate hatten sich als angstlösende und stressabbauende, beruhigende und schlaffördernde Mittel bewährt, die bei reaktiven Depressionen, zum Beispiel auch zur besseren Krankheitsverarbeitung bei HIV/AIDS und Krebs eingesetzt wurden und weniger Nebenwirkungen (z. B. Einschränkung der Wachheit und psychischen Aktivität) hatten als vergleichbare Beruhigungsmittel und Angstlöser [...].

   

6.

http://www.phytopharm.org

   

7.

Siehe: Tibor Harrach, Hanf Journal 05/2004: "Der Fall Ephedra: Politik unterstützt Genussmittel-Piraterie der Pharmaindustrie".
http://www.hanfjournal.de/hajo-website/download/pdf/hanfjournal0504.pdf

   

8.

http://www.eve-rave.net/abfahrer/download/eve-rave/bericht112.pdf

   

9.

Eine Skizze des Safer-Clubbing-Projektes ist auf der Safer-Clubbing-Homepage abgelegt:
http://safer-clubbing.org/skizze.html

   

10.

http://www.bzga.de/bzga_stat/pdf/60370000.pdf

   

11.

Siehe dazu zusammenfassenden Artikel von Tibor Harrach im Hanf Journal 10/2003: "Hepatitis: Die verdrängten Seuchen unserer Zeit".
http://www.hanfjournal.de/hajo-website/download/pdf/Hanfjournal-1003.pdf

   

12.

http://pdf.bmgs.comspace.de/bmgs/temp/download2fbroschueren2fA6082epdf/index/

   

13.

http://jes.aidshilfe.de/media/de/safer_sniffin.pdf

   

14.

Programm und Fotos des Sonics-Netzwerk-Festival "JOIN THE CYBERTRIBE !" November 1999 im Signalwerk (Mainz): http://www.sterneck.net/sonics/festival/index.php


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