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Drogenpolitische Szenarien

Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission
Bundesamt für Gesundheitswesen,
Bern, im Juni 1996


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Zusammenfassung

Der Bericht befasst sich mit der Darstellung eines breiten Spektrums möglicher drogenpolitischer Szenarien, einer Analyse ihrer Anwendbarkeit auf schweizerische Verhältnisse sowie mit den daraus folgenden Empfehlungen der Subkommission Drogenfragen für die kurz- wie auch die längerfristige Ausgestaltung der schweizerischen Drogenpolitik. Er besteht im wesentlichen aus vier Teilen:

 

 

Die Beschreibung bestehender drogenpolitischer Grundmodelle

Zuerst werden in Kapitel 2.2, gestützt auf eine gesondert publizierte Fallstudie über die Drogenpolitik in sechs westeuropäischen Städten und Regionen, drei Grundmodelle skizziert, auf die sich die aktuell bestehenden drogenpolitischen Varianten vereinfacht zusammenfassen lassen:


  • Das »therapeutische Modell«
    Dieses sieht Drogenabhängigkeit in erster Linie als Krankheit. Es stellt ein differenziertes und gut koordiniertes therapeutisches Angebot zur Verfügung, befasst sich im übrigen aber wenig mit den grösseren Zusammenhängen der Drogenproblematik.


  • Das »Modell der sozialen Kontrolle«
    Es geht vom Ziel einer drogenfreien Gesellschaft aus. Dieses wird mit Hilfe einer ausgeprägten sozialen Kontrolle und mit Mitteln der Repression angestrebt; aber auch Präventions- und Betreuungsangebote sind gut ausgebaut. Der Staat engagiert sich in diesem Modell stark und koordiniert zentralistisch alle Massnahmen. Er findet dabei eine breite gesellschaftliche Unterstützung.


  • Das Modell der »Schadenminimierung«
    Das Ziel in diesem Modell besteht darin, Schäden und Risiken im Zusammenhang mit Drogen, deren Vorhandensein als Gegebenheit zur Kenntnis genommen wird, zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Präventions- wie auch Behandlungs- und Betreuungsangebote sind gut ausgebaut. Der Konsum von Drogen ist zwar nicht erwünscht, er wird aber nicht verfolgt, solange er nicht zu Belästigungen im Umfeld führt. Da die Drogenpolitik nicht auf ein einziges und ausschliessliches Ziel ausgerichtet ist, können in diesem Modell unterschiedliche Vorstellungen in pragmatischer Weise berücksichtigt und integriert werden.

 

 

 

Die Entwicklung von sieben möglichen drogenpolitischen Szenarien

In Kapitel 3 werden sieben mögliche Szenarien staatlicher Drogenpolitik entwickelt. Sie stützen sich auf die oben beschriebenen drei Grundmodelle sowie auf die beiden Volksinitiativen »Jugend ohne Drogen« und »DroLeg« und werden ergänzt durch zwei konsequent weitergeführte Extremvarianten in den Richtungen »Repression« und »Liberalisierung«. Sie lassen sich unter den folgenden Überschriften zusarnmenfassen:


  • Nr. 1: Medizinisch-therapeutisch ausgerichtete Drogenpolitik

  • Nr. 2: Abstinenzorientierte Drogenpolitik
  • Nr. 3: Repressivorientierte Drogenpolitik
  • Nr. 4: Auf eine suchtmittelfreie Gesellschaft ausgerichtete Drogenpolitik
  • Nr. 5: Auf Risikoverminderung und Schadenminimierung ausgerichtete Drogenpolitik
  • Nr. 6: Drogenlegalisierung und staatlich reglementierte Abgabe
  • Nr. 7: Deregulierung des Drogenhandels und -konsums


Jedes Szenario wird als Grobskizze möglichst wertneutral dargestellt, und es wird auf die wichtigsten Konsequenzen für den Fall der Anwendung in der Schweiz eingegangen.

 

 

 

Die Beurteilung der Umsetzbarkeit der Szenarien in der Schweiz

Ausgehend von gesellschafts- wie von konsumentenbezogenen drogenpolitischen Zielsetzungen sowie von einer Reihe von Kriterien aus der Sicht des öffentlichen Gesundheitswesens wie auch aus gesellschafts- und staatspolitischer Sicht werden die Szenarien bezüglich ihrer Übertragbarkeit auf schweizerische Verhältnisse bewertet. Die beiden Extremszenarien in Richtung Repression wie auch in Richtung Deregulierung von Handel und Konsum entsprechen in ihren wesentlichen Elementen weder den gewählten Zielsetzungen noch den meisten Kriterien, so dass sie für eine weitere Diskussion ausser Betracht fallen. In den übrigen Szenarien finden sich aber mehr oder weniger ausgeprägt positive Elemente, die teilweise bereits Bestandteil bestehender drogenpolitischer Modelle in der Schweiz sind oder in eine zukünftige Drogenpolitik integriert werden könnten. Die gut ausgebauten und aufeinander abgestimmten therapeutischen Angebote des medizinisch-therapeutisch ausgerichteten Szenarios, das hohe ideelle wie materielle staatliche Engagement und die klaren präventiven Botschaften der abstinenzorientierten Alternative wie auch die nicht nur auf Drogen, sondern auf alle psychoaktiven Substanzen ausgerichtete Drogenpolitik des Szenarios »suchtmittelfreie Gesellschaft« beeindrucken ebenso wie der weitgehende Wegfall der Beschaffungskriminalität im Szenario der staatlich reglementierten Abgabe von Suchtmitteln. Die Kommission kommt aber zum Schluss, dass der in der Schweiz bestehende gesellschaftliche Wertepluralismus wie auch die staatspolitischen Gegebenheiten einer direkten Demokratie ein drogenpolitisches Grundmodell voraussetzen, das in sich unterschiedliche Werthaltungen integrieren und das auf Veränderungen flexibel reagieren kann. Diesen Anforderungen wird in seiner Grundstruktur zurzeit das Schadenminimierungs-Szenario am ehesten gerecht. Es wird daher empfohlen, kurzfristig auf der Basis des Schadenminimierungs-Szenarios eine Drogenpolitik zu entwickeln, welche die als positiv bewerteten Elemente aus anderen Szenarien in dieses Modell integriert und damit sicherstellt, dass es nicht – wie dies gelegentlich der Fall ist – als resignativ wahrgenommen wird. Eine pragmatische Drogenpolitik, die dieses Modell kennzeichnet, kann durchaus klare präventive Botschaften vermitteln, ein differenziertes und koordiniertes Therapie- und Betreuungsangebot zur Verfügung stellen und mit klaren ordnungspolitischen Rahmenbedingungen eine übermässige Belästigung der Bevölkerung durch den Drogenkonsum verhindern. Das Spannungsfeld zwischen dem nach wie vor illegalen Status bestimmter Drogen und der Tatsache eines mehr oder weniger verbreiteten Konsums dieser Substanzen kann in diesem Modell aber nicht aufgehoben werden – auch dann nicht, wenn der Konsum und seine Vorbereitungshandlungen toleriert werden.

 

 

 

Die Empfehlungen

Bei der Erarbeitung von Empfehlungen legte die Kommission Wert darauf, einerseits ein kurzfristig und direkt umsetzbares Modell vorzulegen, andererseits aber auch im Sinne einer auf eine weitere Sicht ausgelegten Perspektive aufzuzeigen, in welche Richtung sich die Drogenpolitik längerfristig weiterentwickeln sollte. Einigkeit bestand dabei im Grundsatz, dass eine Gesellschaft mit einem Überfluss an Suchtmitteln (unter Einschluss der legal erhältlichen) und einer hohen Permissivität gegenüber dem Konsum keine erwünschte Entwicklung darstellt. Die Grundbotschaft einer Drogenpolitik sollte unter anderem darin bestehen, dass es immer eine bessere Lösung für persönliche Probleme gibt als das Ausweichen in den Suchtmittelkonsum. Einigkeit besteht – wie bereits im Bericht der Subkommission »Aspekte der Drogenpolitik in der Schweiz« aus dem Jahre 1989 – auch darüber, dass die Strafbarkeit des Konsums und seiner Vorbereitungshandlungen für alle Betäubungsmittel aufgehoben werden sollte.

Als unmittelbar notwendigen nächsten Schritt befürwortet die Kommission einstimmig die Weiterentwicklung der Drogenpolitik auf der Basis des bundesrätlichen Vier-Säulen-Modells, ergänzt um die Empfehlungen der Expertenkommission für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober 1951 an die Vorsteherin des Eidgenössischen Departementes des Innern (Februar 1996).

Über die längerfristig einzuschlagende Richtung der schweizerischen Drogenpolitik konnte kein Konsens erzielt werden. Eine Mehrheit der Kommission schlägt mit sechs gegen vier Stimmen eine Legalisierung der Drogen mit differenzierter, reglementierter Zugänglichkeit vor. Dabei wäre als wichtiger Bestandteil dieser Empfehlung die Gesamtheit der psychoaktiven Stoffe – unter Einschluss der heute legalen Substanzen – in die Betrachtungen miteinzubeziehen. Psychoaktive Substanzen sind in diesem Modell grundsätzlich legal erhältlich. Es erfolgt jedoch eine reglementierte Differenzierung in der Zugänglichkeit. Diese orientiert sich einerseits an der Gefährlichkeit einer Substanz, andererseits aber auch an der Bedeutung, welche diese für bestimmte Bevölkerungsgruppen hat. Ein solches Modell setzt die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über psychotrope Substanzen voraus, welches das bestehende Betäubungsmittelgesetz ersetzt. Die Kommissionsmehrheit legt Wert auf die Feststellung, dass die Befürwortung einer Drogenlegalisierung mit differenzierter Zugänglichkeit weder aus einer Resignation oder gar Gleichgültigkeit heraus erfolgt noch in der Meinung, es bestehe so etwas wie ein »Recht auf Rausch«. Sie ist jedoch der Auffassung, dass in einer Gesamtbilanz die negativen Auswirkungen der aktuellen Gesetzgebung und ihrer Anwendung wahrscheinlich schädlicher sind als diejenigen der Drogen selbst.

Die Kommissionsminderheit möchte den illegalen Status der heute dem Betäubungsmittelgesetz unterstellten Drogen beibehalten. Eine Legalisierung kommt für die Kommissionsminderheit aus mehreren Gründen nicht in Frage. Sie ist unvereinbar mit eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Bei einer Auflkündigung dieser Verträge wird eine Isolierung und Diskriminierung der Schweiz befürchtet. Ebenso befürchtet die Kommissionsminderheit bei einer Legalisierung heute verbotener psychotroper Substanzen einen Konsumanstieg und eine Sogwirkung auf ausländische Drogenkonsumenten. Die Kommissionsminderheit unterstützt aber das vorstehend erwähnte Vier-Säulen-Modell.

 


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