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Drogenpolitische Szenarien

Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission


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Anhang 3
(A3-1  –  A3-1.3)

 

 

Felchlin Johannes / Müller Egon
Ökonomische Bewertung drogenpolitischer Szenarien

Der nachfolgende Bericht wurde auf Antrag der Subkommission Drogenfragen vom Bundesamt für Gesundheitswesen BAG in Auftrag gegeben. Die wichtigsten Schlussfolgerungen wurden für den Bericht der Subkommission übernommen. Im übrigen gibt der Bericht aber die Meinung der Autoren wieder, die sich nicht in allen Punkten mit derjenigen der Subkommission Drogenfragen oder des BAG decken muss.

 

 

Inhaltsverzeichnis

A3-1   Einleitung

A3-1.1   Vorgehen und Problematik
A3-1.2   Vorbemerkungen
A3-1.3   Zusammenfassung

 

A3-2   Thesen

A3-2.0   Einleitung
A3-2.1   Szenario 1: Medizinisch-therapeutisch ausgerichtete Drogenpolitik
A3-2.2   Szenario 2: Modell Drogenabstinenz
A3-2.3   Szenario 3: Repressiv orientierte Drogenpolitik
A3-2.4   Szenario 4: Auf eine suchtmittelfreie Gesellschaft ausgerichtete Drogenpolitik
A3-2.5   Szenario 5: Auf Risikoverminderung und Schadenminimierung ausgerichtete Drogenpolitik
A3-2.6   Szenario 6: Drogenlegalisierung und staatlich reglementierte Abgabe
A3-2.7   Szenario 7: Deregulierung des Drogenhandels und -konsums
A3-2.8   Szenario 8: Weiterführen des Status quo

 

A3-3   Ökonomische Folgen

A3-3.1   Die ökonomischen Folgen des freien Drogenmarktes
A3-3.2   Die ökonomischen Folgen eines totalen Drogenverbotes
A3-3.3   Die ökonomischen Folgen eines Drogenverbotes mit Ausnahmen
A3-3.4   Die ökonomischen Folgen einer Drogenfreigabe mit Auflagen
A3-3.5   Die aus ökonomischer Sicht geeignete Bestrafungsart

 

A3-4   Glossar
A3-5   Autoren
A3-6   Literatur-Verzeichnis

 

 

 

A3-1   Einleitung

A3-1.1   Vorgehen und Problematik

Die sieben Szenarien werden aus ökonomischer Betrachtung vom heutigen Standpunkt aus beurteilt. Das achte Szenario – das Weiterführen des Status quo – wird im Vergleich zur ökonomisch effizientesten Drogenpolitik eingeschätzt. Diese ist jedoch stark von der politischen Willensbildung abhängig, wobei grundsätzlich von zwei verschiedenen Lösungsansätzen ausgegangen werden kann. Der eine, eher paternalistische Ansatz, entspricht dem Modell einer kontrollierten Drogenabgabe, bei der die Produktion und der Handel dem Staat vorbehalten bleiben. Dagegen sind der kontrollierte Erwerb und der Konsum von Drogen straffrei. Bei dieser Variante steht die Volksgesundheit im Vordergrund .

Der andere, eher individualistische Ansatz entspricht einer mit Auflagen versehenen Freigabe von Drogen, bei der die Eigenverantwortung im Umgang mit Drogen eines jeden einzelnen im Zentrum steht. Der Staat würde sich auf die Erstellung von Rahmenbedingungen des Drogenmarktes beschränken (beispielsweise die Erhebung einer Gesundheitsabgabe, ein Werbeverbot für Drogen, die Anpassung der Strassenverkehrsgesetzgebung etc.) Diese beiden Modelle miteinander aus ökonomischer Sicht zu vergleichen, ist äusserst schwierig. Hingegen kann ein tendenzieller Kostenvergleich der zwei Modelle zu den beiden Extremvarianten (restriktives Drogenverbot bzw. völlige Liberalisierung des Drogenmarktes) angestellt werden .

Die Schwierigkeit, für die einzelnen Szenarien der Drogenpolitik eine genauere Kostenauflistung zu erstellen, wird zudem durch weitere Umstände verschärft. In vielerlei Hinsicht fehlen relevante statistische Angaben bezüglich des Drogenproblems. Auf diesen Mangel haben bereits bedeutende Autoren hingewiesen , die sich mit diesem Thema ausführlich auseinandergesetzt haben. So fehlen zum Beispiel die exakte Zahl der Drogensüchtigen in der Schweiz, Angaben über deren Abhängigkeitsgrad, aber auch über Einkommensquellen, Vermögenslage oder Herkunft der Drogenkonsumenten, um nur ein paar wenige Mängel zu nennen.

Aus den genannten Argumenten einerseits und aus zeitlichen Gründen andererseits ist es für uns nicht möglich, eine genaue Kostenauflistung der einzelnen Massnahmen zu erstellen, die in den acht Szenarien getroffen werden. Wir haben durch das Studium der Szenarien und der Literatur versucht, Veränderungen im Kostengefüge innerhalb der einzelnen Drogenpolitiken abzuschätzen, zu überprüfen und festzuhalten.

Ein anderes als dieses gewählte Vorgehen wäre unseres Erachtens unseriös und würde u.U. die politische Willensbildung in einer Weise beeinflussen, die wir nicht verantworten könnten. Das Auswahlverfahren der »bestgeeigneten Lösung« der Drogenfrage ist und bleibt ein politisches Problem. Die Ökonomie ist nur imstande, Kosten- und Nutzenneigungen der jeweiligen Szenarien der Drogenpolitik abzuschätzen.

 

 

A3-1.2   Vorbemerkungen

Der Beurteilung der acht drogenpolitischen Szenarien liegen verschiedene Prämissen zugrunde, die in der Folge kurz wiedergegeben sind. Für das bessere Verständnis der ökonomischen Ausdrücke haben wir im Anhang ein Glossar aufgeführt. Wörter, die im Glossar erscheinen, sind mit einem » ¬ « gekennzeichnet. Bei der ökonomischen Beurteilung sind wir davon ausgegangen, dass die Drogenpolitik der jeweiligen Szenarien in der Bevölkerung »mehrheitlich« als wünschenswert erachtet wird. Gegenüber der heutigen Situation kann dadurch für die Gesellschaft ein Nutzen abgeleitet werden.

Unter gleichbleibenden Kosten verstehen wir grundsätzlich, dass sich das Kostenvolumen im Vergleich zur heutigen Situation nur marginal ändert. Die Kostenhöhe passt sich in etwa proportional der Intensität der einzuleitenden Massnahmen an. Bei der Ermittlung der Kostenfolgen des Konsums harter Drogen weisen Pommerehne und Hart darauf hin, dass es »notwendig ist, zwischen den einzelnen Narkotika zu differenzieren. Während die Einnahme von Kokain (sowie hoher Dosen von Amphetaminen) aggressionsfördernde Nebenwirkungen aufweist, setzt der Konsum von Heroin die Antriebskraft typischerweise herab. So kommen Gelles und Strauß (1988) in ihrer umfassenden Studie zum Schluss, dass Gewalttätigkeiten (z.B. in der Ehe) nur höchst selten mit der Einnahme von Heroin in Verbindung gebracht werden können. Der Kokainkonsum dagegen zeitigt nachweislich negative ¬ Externalitäten in Form erhöhter Gewalttätigkeit, gerade auch gegenüber Ehepartnern und Kindern. Nebenbei bemerkt, scheint der Alkoholkonsum in dieser Hinsicht noch gefährlicher zu sein.«

Pommerehne und Hart (1992) sowie Bernasconi (1993) weisen darauf hin, dass bei der Betrachtung der ¬ Externalitäten aus ökonomischer Sicht nur diejenigen Kosten herangezogen werden dürfen, die in direktem Zusammenhang mit dem Drogenkonsum stehen. ¬ Externalitäten, die mit dem verbotsbedingten Schwarzmarktpreis, nicht aber mit dem Konsum der Droge in Verbindung stehen, dürfen aus ökonomischer Sicht auf keinen Fall als gesellschaftliche Kosten des Drogenkonsums in Rechnung gestellt werden . Sie spielen in der ökonomischen Beurteilung der Drogenfrage als Regulierungskosten eine Rolle.

 

 

A3-1.3   Zusammenfassung

Szenario 1:   Medizinisch-therapeutisch ausgerichtete Drogenpolitik
Durch die breit ausgebauten und individualisierten Therapieprogramme wird das Gesundheitswesen einen zusätzlichen Kostenschub erfahren (Prämienerhöhungen bzw. staatliche Subventionen). Zudem müsste die Wirksamkeit der Ausgaben überprüft werden, respektive, ob die auf Einsicht und Freiwilligkeit basierenden Programme eine genügend hohe, langfristige Erfolgsquote aufweisen. Demgegenüber dürften sich die Repressionskosten auf die Verfolgung des illegalen Drogenmarktes beschränken. Die Intensität der Gesetzesanwendung wird entscheiden, ob und wieviel gegenüber der heutigen Situation Kosten gespart werden können. Im Bereich der externen Kosten dürften kaum Verbesserungen eintreffen.

 

Szenario 2:   Abstinenzorientierte Drogenpolitik
Der Abbau nichtabstinenzorientierter Therapieprogramme führt zu einer Kostensenkung. Alle anderen Massnahmen führen unweigerlich zu einer teilweise massiven Kostensteigerung. Diese wird insbesondere durch die restriktivere Gesetzesanwendung und durch die Ausbau und die laufenden Kosten der Zwangstherapieplätze hervorgerufen. Die medizinischen Kosten, die auf einen dauerhaften Erfolg abzielen, aber auch die Morbiditäts- und Mortalitätskosten sowie die negativen ¬ Externalitäten werden tendenziell stark ansteigen. Die Lösung des Drogenproblems ist mit stark zunehmenden Kosten verbunden, insbesondere für Überwachung und Kontrolle, um allfällig wiederaufkeimende illegale Drogenmärkte niederzuschlagen.

 

Szenario 3:   Repressiv orientierte Drogenpolitik
Grundsätzlich steigen die Kosten zur Lösung des Drogenproblems tendenziell exponentiell, je grösser der Repressionsgrad ist. Steigende Kosten für die Gesellschaft resultieren v.a. hinsichtlich der Internierungs-, Zwangsentzugs- und Zwangstherapieplätze, die zudem zu einem grossen Teil erst erstellt werden müssten. Aber auch die Zunahme der Zahl von Ordnungshütern und der polizeilichen Einsätze würden schwerwiegend zu Buche schlagen. Im Bereich der ¬ Externalitäten muss ebenfalls mit stark steigenden Kosten gerechnet werden. Alle in jüngster Zeit erstellten ökonomischen Studien kommen einhellig zum Schluss, dass das Repressionsmodell aus ökonomischer Sicht eine denkbar ineffizente Variante ist.

 

Szenario 4:   Auf eine suchtmittelfreie Gesellschaft ausgerichtete Drogenpolitik
Gegenüber der heutigen Drogenpolitik ist dieses Modell mit nicht zu unterschätzenden Kosten verbunden. Die integrierten sozialen und polizeilichen Massnahmen haben in konzeptioneller wie in ausführender Hinsicht hohe Kosten zur Folge. Zudem wird sich das Schwarzmarktproblem weiter zuspitzen. Die Veränderung der Morbiditäts- und die Mortalitätskosten ist ungewiss. Die Finanzierungslösung hätte eine höhere zusätzliche Steuerbelastung auf die legalen Substanzen zur Folge.

 

Szenario 5:   Auf Risikoverminderung und Schadenminimierung ausgerichtete Drogenpolitik
Stellt man die erwartete Nutzenerhöhung den Mehrkosten gegenüber, schneidet dieses Szenario eher schlecht ab. Während die schwarzmarktinduzierten Kosten und die Kosten der Gesetzesanwendung in etwa gleich hoch bleiben, dürften die Präventions-, aber auch die Kosten in den Bereichen Betreuung und Therapie stärker ansteigen. Ferner ist mit zusätzlichen Kosten zu rechnen, welche die Koordinationsmassnahmen zwischen staatlichen und privaten Organisationen verursachen.

 

Szenario 6:   Drogenlegalisierung und staatlich reglementierte Abgabe
Im Bereich Prävention ist mit höheren, im Betreuungs- und Therapieangebot sogar mit erheblich höheren Kosten zu rechnen. Während die Kosten, die durch den Drogenkonsum an sich anfallen, sich kaum verändern, werden die verbotsbedingten Kosten kaum mehr eine Rolle spielen. Zudem werden die Wohlfahrtsverluste, die dem Schwarzmarkt zuzuschreiben sind, weitgehend beseitigt. Aber auch »seelische Kosten« wie Schmerz und Leid bei Betroffenen und Konsumentinnen bzw. Konsumenten werden abnehmen. Es ist davon auszugehen, dass die Morbiditäts- und Mortalitätskosten erheblich sinken. Dieser Modellansatz wird von renommierten Ökonomen als effiziente Lösungsvariante empfohlen.

 

Szenario 7:   Deregulierung des Drogenhandels und -konsums
Alle verbotsbedingten Kosten werden bei dieser Variante hinfällig, insbesondere jene der Gesetzesanwendung und die Kosten, die aus der Bekämpfung des Schwarzmarktes entstehen. Hingegen muss mit einer gewissen Anzahl zusätzlicher Drogenkonsumentinnen und -konsumenten gerechnet werden. Kostensteigernd wirken sich externe Effekte aus – sowohl bezüglich der individuellen als auch der gesellschaftlichen Ebene (z.B. Gewalttätigkeit, Gesundheitsschäden bei Konsumierenden und Neugeborenen).

 

Szenario 8 :   Weiterführen des Status quo
Laut Bundesamt für Statistik belaufen sich die Repressionskosten jährlich auf mindestens 500 Mio. Franken. Die von Bernasconi 1993 ermittelten ¬ Externalitäten betragen zwischen 2.138 bis 2.754 Mio. Franken. Ein Grossteil dieser Kosten könnte durch eine Richtungsänderung der heutigen Drogenpolitik eingespart werden. Letztere kann ökonomisch nur gerechtfertigt werden, wenn sie den Einstieg von ca. 170.000 Konsumierenden in den illegalen Drogenmarkt verhindern kann, d.h., das 6,7-fache der tatsächlichen Konsumentenzahl .

 


Fußnoten:

  1. gemäss der Ansicht von Prof. A. Hart, Interview vom 25. August 1995. .
  2. dito. .
  3. dito. .
  4. Bernasconi D 1993, Danthine J.-P. und Balletto R. 1992, Pommerehne W. und Hart A. 1992 .
  5. Pommerehne W., Hart A. 1992, S. 245 .
  6. vergl. ebenda. 1992, S 244 .
  7. Die ersten sieben Szenarien sind aus ökonomischer Betrachtung vom heutigen Standpunkt aus beurteilt worden. Das 8. Szenario wird im Vergleich zu den ökonomisch günstigsten Drogenpolitiken eingeschätzt, die Pommerehne und Hart 1992 vorgeschlagen haben. .
  8. Bernasconi 1993. s. 74 .

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