Drogenpolitische Szenarien
Subkommission Drogenfragen der Eidgenössischen Betäubungsmittelkommission
Zusammenfassung
Der Bericht befasst sich mit der Darstellung eines breiten Spektrums möglicher drogenpolitischer
Szenarien, einer Analyse ihrer Anwendbarkeit auf schweizerische Verhältnisse sowie mit den daraus folgenden
Empfehlungen der Subkommission Drogenfragen für die kurz- wie auch die längerfristige Ausgestaltung der
schweizerischen Drogenpolitik. Er besteht im wesentlichen aus vier Teilen:
Die Beschreibung bestehender drogenpolitischer Grundmodelle
Zuerst werden in Kapitel 2.2, gestützt auf eine gesondert publizierte Fallstudie über
die Drogenpolitik in sechs westeuropäischen Städten und Regionen, drei Grundmodelle skizziert, auf
die sich die aktuell bestehenden drogenpolitischen Varianten vereinfacht zusammenfassen lassen:
Das »therapeutische Modell«
Dieses sieht Drogenabhängigkeit in erster Linie als Krankheit. Es stellt ein differenziertes
und gut koordiniertes therapeutisches Angebot zur Verfügung, befasst sich im übrigen aber wenig
mit den grösseren Zusammenhängen der Drogenproblematik.
Das »Modell der sozialen Kontrolle«
Es geht vom Ziel einer drogenfreien Gesellschaft aus. Dieses wird mit Hilfe einer ausgeprägten
sozialen Kontrolle und mit Mitteln der Repression angestrebt; aber auch Präventions- und Betreuungsangebote
sind gut ausgebaut. Der Staat engagiert sich in diesem Modell stark und koordiniert zentralistisch alle Massnahmen.
Er findet dabei eine breite gesellschaftliche Unterstützung.
Das Modell der »Schadenminimierung«
Das Ziel in diesem Modell besteht darin, Schäden und Risiken im Zusammenhang mit Drogen,
deren Vorhandensein als Gegebenheit zur Kenntnis genommen wird, zu vermeiden oder möglichst gering zu
halten. Präventions- wie auch Behandlungs- und Betreuungsangebote sind gut ausgebaut. Der Konsum von
Drogen ist zwar nicht erwünscht, er wird aber nicht verfolgt, solange er nicht zu Belästigungen
im Umfeld führt. Da die Drogenpolitik nicht auf ein einziges und ausschliessliches Ziel ausgerichtet
ist, können in diesem Modell unterschiedliche Vorstellungen in pragmatischer Weise berücksichtigt
und integriert werden.
Die Entwicklung von sieben möglichen drogenpolitischen Szenarien
In Kapitel 3 werden sieben mögliche Szenarien staatlicher Drogenpolitik entwickelt. Sie
stützen sich auf die oben beschriebenen drei Grundmodelle sowie auf die beiden Volksinitiativen »Jugend
ohne Drogen« und »DroLeg« und werden ergänzt durch zwei konsequent weitergeführte
Extremvarianten in den Richtungen »Repression« und »Liberalisierung«. Sie lassen sich
unter den folgenden Überschriften zusarnmenfassen:
Jedes Szenario wird als Grobskizze möglichst wertneutral dargestellt, und es wird auf die wichtigsten Konsequenzen
für den Fall der Anwendung in der Schweiz eingegangen.
Die Beurteilung der Umsetzbarkeit der Szenarien in der Schweiz
Ausgehend von gesellschafts- wie von konsumentenbezogenen drogenpolitischen Zielsetzungen
sowie von einer Reihe von Kriterien aus der Sicht des öffentlichen Gesundheitswesens wie auch aus gesellschafts-
und staatspolitischer Sicht werden die Szenarien bezüglich ihrer Übertragbarkeit auf schweizerische
Verhältnisse bewertet. Die beiden Extremszenarien in Richtung Repression wie auch in Richtung Deregulierung von
Handel und Konsum entsprechen in ihren wesentlichen Elementen weder den gewählten Zielsetzungen noch den
meisten Kriterien, so dass sie für eine weitere Diskussion ausser Betracht fallen. In den übrigen Szenarien
finden sich aber mehr oder weniger ausgeprägt positive Elemente, die teilweise bereits Bestandteil bestehender
drogenpolitischer Modelle in der Schweiz sind oder in eine zukünftige Drogenpolitik integriert werden
könnten. Die gut ausgebauten und aufeinander abgestimmten therapeutischen Angebote des medizinisch-therapeutisch
ausgerichteten Szenarios, das hohe ideelle wie materielle staatliche Engagement und die klaren präventiven
Botschaften der abstinenzorientierten Alternative wie auch die nicht nur auf Drogen, sondern auf alle psychoaktiven
Substanzen ausgerichtete Drogenpolitik des Szenarios »suchtmittelfreie Gesellschaft« beeindrucken
ebenso wie der weitgehende Wegfall der Beschaffungskriminalität im Szenario der staatlich reglementierten
Abgabe von Suchtmitteln. Die Kommission kommt aber zum Schluss, dass der in der Schweiz bestehende gesellschaftliche
Wertepluralismus wie auch die staatspolitischen Gegebenheiten einer direkten Demokratie ein drogenpolitisches Grundmodell
voraussetzen, das in sich unterschiedliche Werthaltungen integrieren und das auf Veränderungen flexibel
reagieren kann. Diesen Anforderungen wird in seiner Grundstruktur zurzeit das Schadenminimierungs-Szenario am
ehesten gerecht. Es wird daher empfohlen, kurzfristig auf der Basis des Schadenminimierungs-Szenarios eine Drogenpolitik
zu entwickeln, welche die als positiv bewerteten Elemente aus anderen Szenarien in dieses Modell integriert und
damit sicherstellt, dass es nicht – wie dies gelegentlich der Fall ist – als resignativ wahrgenommen wird. Eine
pragmatische Drogenpolitik, die dieses Modell kennzeichnet, kann durchaus klare präventive Botschaften vermitteln,
ein differenziertes und koordiniertes Therapie- und Betreuungsangebot zur Verfügung stellen und mit klaren
ordnungspolitischen Rahmenbedingungen eine übermässige Belästigung der Bevölkerung durch
den Drogenkonsum verhindern. Das Spannungsfeld zwischen dem nach wie vor illegalen Status bestimmter Drogen und
der Tatsache eines mehr oder weniger verbreiteten Konsums dieser Substanzen kann in diesem Modell aber nicht
aufgehoben werden – auch dann nicht, wenn der Konsum und seine Vorbereitungshandlungen toleriert werden.
Die Empfehlungen
Bei der Erarbeitung von Empfehlungen legte die Kommission Wert darauf, einerseits ein kurzfristig
und direkt umsetzbares Modell vorzulegen, andererseits aber auch im Sinne einer auf eine weitere Sicht ausgelegten
Perspektive aufzuzeigen, in welche Richtung sich die Drogenpolitik längerfristig weiterentwickeln sollte.
Einigkeit bestand dabei im Grundsatz, dass eine Gesellschaft mit einem Überfluss an Suchtmitteln (unter
Einschluss der legal erhältlichen) und einer hohen Permissivität gegenüber dem Konsum keine erwünschte
Entwicklung darstellt. Die Grundbotschaft einer Drogenpolitik sollte unter anderem darin bestehen, dass es immer
eine bessere Lösung für persönliche Probleme gibt als das Ausweichen in den Suchtmittelkonsum.
Einigkeit besteht – wie bereits im Bericht der Subkommission »Aspekte der Drogenpolitik in der Schweiz«
aus dem Jahre 1989 – auch darüber, dass die Strafbarkeit des Konsums und seiner Vorbereitungshandlungen
für alle Betäubungsmittel aufgehoben werden sollte.
Als unmittelbar notwendigen nächsten Schritt befürwortet die Kommission einstimmig
die Weiterentwicklung der Drogenpolitik auf der Basis des bundesrätlichen Vier-Säulen-Modells, ergänzt
um die Empfehlungen der Expertenkommission für die Revision des Betäubungsmittelgesetzes vom 3. Oktober
1951 an die Vorsteherin des Eidgenössischen Departementes des Innern (Februar 1996).
Über die längerfristig einzuschlagende Richtung der schweizerischen Drogenpolitik konnte
kein Konsens erzielt werden. Eine Mehrheit der Kommission schlägt mit sechs gegen vier Stimmen eine Legalisierung
der Drogen mit differenzierter, reglementierter Zugänglichkeit vor. Dabei wäre als wichtiger Bestandteil
dieser Empfehlung die Gesamtheit der psychoaktiven Stoffe – unter Einschluss der heute legalen Substanzen – in
die Betrachtungen miteinzubeziehen. Psychoaktive Substanzen sind in diesem Modell grundsätzlich legal erhältlich.
Es erfolgt jedoch eine reglementierte Differenzierung in der Zugänglichkeit. Diese orientiert sich einerseits
an der Gefährlichkeit einer Substanz, andererseits aber auch an der Bedeutung, welche diese für bestimmte
Bevölkerungsgruppen hat. Ein solches Modell setzt die Ausarbeitung eines Bundesgesetzes über psychotrope
Substanzen voraus, welches das bestehende Betäubungsmittelgesetz ersetzt. Die Kommissionsmehrheit legt Wert
auf die Feststellung, dass die Befürwortung einer Drogenlegalisierung mit differenzierter Zugänglichkeit
weder aus einer Resignation oder gar Gleichgültigkeit heraus erfolgt noch in der Meinung, es bestehe so
etwas wie ein »Recht auf Rausch«. Sie ist jedoch der Auffassung, dass in einer Gesamtbilanz die negativen
Auswirkungen der aktuellen Gesetzgebung und ihrer Anwendung wahrscheinlich schädlicher sind als diejenigen
der Drogen selbst.
Die Kommissionsminderheit möchte den illegalen Status der heute dem Betäubungsmittelgesetz
unterstellten Drogen beibehalten. Eine Legalisierung kommt für die Kommissionsminderheit aus mehreren Gründen
nicht in Frage. Sie ist unvereinbar mit eingegangenen internationalen Verpflichtungen. Bei einer Auflkündigung
dieser Verträge wird eine Isolierung und Diskriminierung der Schweiz befürchtet. Ebenso befürchtet
die Kommissionsminderheit bei einer Legalisierung heute verbotener psychotroper Substanzen einen Konsumanstieg
und eine Sogwirkung auf ausländische Drogenkonsumenten. Die Kommissionsminderheit unterstützt aber
das vorstehend erwähnte Vier-Säulen-Modell.
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