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Drogeninduzierte und andere außergewöhnliche Bewußtseinszustände

Ein Bericht über Sucht und Sehnsucht, Transzendenz, Ich-Erfahrungen und außergewöhnliche Bewußtseinszustände


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Sucht und Sehnsucht

 

Leistungsdenken und kulturelle Defizite als Ursache von Sucht

Vom Kindesalter an wird dem Menschen zunehmend Leistung abverlangt. Die Erziehung in der Schule ist von Leistungsstandards geprägt. Dies wird besonders im Sport (Turnunterricht) deutlich. Nicht die Freude an der körperlichen Ertüchtigung, nicht die Lust an der Bewegung und auch nicht der Spaß am Spiel stehen im Vordergrund, sondern das Maß der erbrachten Leistung. Geehrt wird, wer am schnellsten läuft oder schwimmt, am weitesten springt oder wirft, die schwersten Gewichte hebt oder die meisten Bälle in ein vorgegebenes Ziel wirft. Wer hier mehr leistet als andere, zählt mehr als die anderen in der Gruppe. Um Geltung zu erlangen, muß man eben Stärkster, Erster oder einfach Sieger sein. Die Verlierer werden von der Mehrheit mit durchschnittlicher Leistung alsbald ausgegrenzt, gehänselt und oft verspottet. Die Menschen stehen so schon im Kindesalter in einem harten Leistungswettbewerb zueinander – dies gilt natürlich nicht nur für den Sport – und wer nicht den vorgegebenen Anforderungen entsprechen kann, wird erbarmungslos ins gesellschaftliche Abseits getrieben. Die Persönlichkeit eines jungen Menschen wird durch diese oft als Entfremdung erlebte Ausgrenzung erheblich gestört, das Selbstwertgefühl beeinträchtigt und das Selbstbewußtsein gemindert.

In der Welt der Erwachsenen kommen die in der Schule vermittelten und angelernten Wesensmerkmale des Zwangs nach immer mehr Leistung deutlich zur Geltung. Politik und Wirtschaft betrachten den Menschen immer mehr nur noch als Mehrwert schaffende Produktionseinheit, respektive als gewinnbringenden Konsumenten. In der heutigen Gesellschaft zählt somit in erster Linie die Leistung als Arbeitskraft und die Verfügbarkeit über Geld (Kaufkraft) der Menschen. Der Bildung, Kultur und Menschlichkeit wie auch den Bedürfnissen nach geistiger und religiöser Erbauung wird hingegen immer weniger Bedeutung beigemessen.

Einseitig ökonomisch ausgerichtete Zielsetzungen, materialistische Wertvorstellungen und rationales, ja rein funktionales Denken führen zu einem erheblichen Defizit im emotionellen und kulturellen Bereich der Menschen. Die Folge ist eine immer stärker werdende Suche nach inneren menschlichen Werten, verbunden mit einer stets wachsenden Sehnsucht nach Vertrautheit und Geborgenheit. Da oftmals weder die Familie noch das Bildungssystem Wege vermitteln, die dieser Suche oder dieser Sehnsucht nach Menschlichkeit und Vertrautheit gerecht werden können, kommt es leicht zu zwanghaften Verhaltensweisen bei dem Versuch, die als Leere empfundenen Defizite auszugleichen. Die Tendenz zu zwanghaftem Verhalten ist nicht nur latent in jedem Menschen vorhanden, sondern kann sich jederzeit bei einem Übermaß seelischer Unausgeglichenheit manifestieren. Wenn dann dieses zwanghafte Verhalten so sehr zur Gewohnheit wird, daß es die Persönlichkeit zum Nachteil des eigenen Wohlbefindens und der zwischenmenschlichen Beziehungen verändert und dem Menschen im Funktionieren in Beruf und Gesellschaft schadet, dann spricht man im klinischen Sinn von einer Abhängigkeit oder Sucht.

Klassisches Kriterium der Sucht, so wie der Begriff in der breiten Bevölkerungsmehrheit im allgemeinen verstanden wird, ist die Unfähigkeit mit etwas aufzuhören, von dem man weis, daß es die eigene Souveränität beeinträchtigt. Aus der Wiederholung einer Erfahrung wird ein Wiederholungszwang. Suchtverhalten gestaltet sich sehr unterschiedlich aus. Entsprechend vielfältig sind so auch die individuellen Wahrnehmungen von Sucht und viele Menschen entwickeln subjektive Theorien über Sucht, sei es aus eigenen Erfahrungen oder aus Beobachtungen bei anderen, die mit Abhängigkeiten von Zwangsverhalten Probleme haben. So sind die Theorien über Sucht sehr vielfältig. In der Medizin und in der Psychiatrie spricht man heute übrigens nicht mehr von Sucht, sondern von Abhängigkeit.

 

Sucht als verengter Bewußtseinszustand Versuch einer Begriffsdefinition

Der Begriff Sucht wird häufig mit dem Begriff suchen in Verbindung gebracht und es wird oft gesagt, daß der Süchtige stets auf der Suche nach etwas ist, das ihm Befriedigung gibt. Die etymologische Verknüpfung des Wortes Sucht mit dem Verb suchen hat sich erst mit dem neuhochdeutschen Sprachgefühl etabliert, denn das Wort Sucht ist ursprünglich von dem Verb siechen (lange Zeit krank sein) abgeleitet. Das Verb siechen wird heute nicht mehr gebraucht, hingegen sind die Zusammensetzungen dahinsiechen (lange Zeit vor sich hin kränkeln) und Siechtum (lang dauernde Zeit schwerer Krankheit) immer noch, wenn auch nicht häufig, in Gebrauch.

Oft gebrauchte Wortzusammensetzungen zeigen deutlich, daß der Begriff Sucht genauso in Verbindung mit Krankheiten gebraucht wird (Bleichsucht, Gelbsucht, Wassersucht, Mondsucht, Tobsucht) wie auch in Verbindung mit dem Wort suchen (Gefallsucht, Selbstsucht, Herrschsucht, Eifersucht, Sehnsucht), wobei hier auffällig ist, daß die Zusammensetzungen sich kaum auf die Grundbedeutung von suchen im Sinne von sich bemühen etwas Verlorenes, Verstecktes oder etwas, was gebraucht wird, zu finden beziehen, sondern vornehmlich auf die zweite Bedeutung im Sinne von Verlangen, Begehren oder Fordern.

Heute versteht man unter Sucht ein maßlos übersteigertes Verlangen nach etwas oder auch die krankhafte Abhängigkeit von etwas. Neuere Wortzusammensetzungen verdeutlichen dies: Spielsucht, Sexualsucht, Einkaufssucht oder Arbeitssucht, aber auch Alkoholsucht, Heroinsucht und andere mehr.

Das Wort Sehnsucht ist eine Zusammensetzung aus dem Tatwort sich sehnen und dem Hauptwort Sucht. Das Verb sich sehnen bedeutet ein starkes, innig und schmerzlich empfundenes Verlangen haben nach etwas, das im Moment unerreichbar ist. Die Bedeutung beider Teile des zusammengesetzten Wortes Sehnsucht haben einen gemeinsamen Nenner, der mit übermäßigem Verlangen oder maßlosem Begehren beschrieben werden kann. Das Wort Sehnsucht schließt auch ein schnelles Erlangen des begehrten Dinges oder eine rasche Befriedigung des Wunsches, wonach verlangt wird, aus.

Das Erscheinungsbild des Suchtverhaltens ist oft geprägt vom Verlangen nach äußeren Objekten (Geld, Alkohol, Aufputschmittel, Beruhigungsmittel), die jedoch vornehmlich für eine Zustandsänderung des eigenen Befindens gebraucht werden oder um den eigenen Bewußtseinszustand zu verändern. Das äußere Objekt ist nur Mittel zum Zweck zur Änderung der Befindlichkeit. Das eigentliche Verlangen konzentriert sich auf ein inneres Erlebnis, auf einen Rausch oder auf eben auf ein verändertes Bewußtsein. Bewußtsein kann man dem ursprünglichen Sinn des Wortes nach nicht erlangen, da der Begriff Bewußtsein vielmehr einer Tätigkeit als einer Sache entspricht. Bewußt sein ist eine Tätigkeit. Das Wort bewußt stammt von dem nicht mehr gebräuchlichen Verb bewissen ab, was soviel bedeutet wie sich zurechtfinden oder um etwas wissen. Unter Bewußtsein versteht man einerseits den Zustand geistiger Klarheit, anderseits die Gesamtheit der psychischen Vorgänge, durch die sich der Mensch der Außenwelt und seiner selbst gewahr wird.

Das durch Suchtverhalten geprägte intensive Verlangen nach Bedürfnisbefriedigung lenkt die ganze Aufmerksamkeit auf die Sache, die zu eben jener Bedürfnisbefriedigung übermäßig begehrt wird. Dabei verengen sich der Bereich der allgemeinen Wahrnehmung wie auch der Bewußtseinsfokus.

Je stärker das Suchtverhalten ausgeprägt ist, desto häufiger wird der "Süchtige" versuchen, die Sache zu erlangen, die zu seiner Bedürfnisbefriedigung führt. Die sich stets wiederholende Applikation derselben Sache bedingt eine sich stets wiederholende Tätigkeit. Diese Tätigkeit wird zu einer Gewohnheit und im Laufe der Zeit entwickelt sich daraus ein Ritual. Das suchtbedingte Verhalten wird ritualisiert.

Ein Ritual ist eine zeremonielle Ordnung zur Feier eines religiösen Brauchs. Das Wort Ritual ist dem lateinischen Wort ritus "heilger Brauch nach hergebrachter Sitte" entlehnt. Das Verb ritualisieren ist erst in diesem Jahrhundert geläufig geworden und bedeutet soviel wie zum Ritual werden lassen.

Das Einnehmen von Drogen, die Abhängigkeit erzeugen, ist fast immer mit ritualisiertem Verhalten verknüpft, das zwanghaft auf die immer gleiche Weise wiederholt wird. Das trifft gleichermaßen auf Betäubungsmittel wie Opiate als auch auf Stimulanzien wie Amphetamin oder Kokain zu. Das ritualisierte Einnehmen ist auch von gesellschaftlich gebilligten und kommerziell geförderten suchtbildenden Substanzen wie Alkohol, Tabak und Kaffee her bestens bekannt. Die Einnahmerituale haben eine alte Tradition und sind Leitmotiv der Werbung, die zum Konsum dieser Drogen anregen soll.

Eine seit alters her bekannte Droge ist der Weingeist (Alkohol), ein hochprozentiges alkoholisches Getränk, das in der Apothekerfachsprache Spiritus genannt wird. Hochprozentige Alkoholika werden allgemein auch Spirituosen genannt. Spiritus ist ein lateinischer Begriff mit vielen Bedeutungen: Lufthauch, Atem, Seele, Geist, Dichtergeist, Begeisterung, Selbstgefühl (Bewußtsein) und stammt von dem lateinischen Verb spirare ab, das soviel bedeutet wie hauchen, atmen und leben. Von spiritus abgeleitet ist der Begriff spirituell, was übersetzt geistig oder geistlich heißt. Die Wortverwandtschaft von spirituell und Spirituosen zeigt deutlich den Wirkungszusammenhang zwischen dem Konsum von Spirituosen und dem Erleben spiritueller Erfahrungen. Beides löst eine Veränderung der Wahrnehmung und des Bewußtseinszustandes aus, wobei im ersten Fall die Tendenz eher Richtung Verengung tendiert, im zweiten Fall eher in Richtung Erweiterung.

Nicht nur die regelmäßige Einnahme von Drogen wie Spirituosen kann zu einer Bewußtseinstrübung und einem Suchtverhalten führen, sondern auch spirituelle Erfahrungen können Sucht erzeugen. Meditationsübungen, die von spirituellen Traditionen als probate Mittel gegen zwanghaftes Verlangen überliefert werden, können bei Menschen zu einem gefährlichen Suchtmittel entarten, wenn diese die Suche nach spiritueller Erfahrung dazu benutzen, die Auseinandersetzung mit den eigenen unangenehmen Aspekten ihres Selbstbewußtseins zu verdrängen. So ein Verhalten verengt den Bewußtseinszustand genauso wie der übermäßige Drogenkonsum. Die Grenze zwischen einer nach außen orientierten Sucht und einer innerlichen Suche nach Spiritualität läßt sich nicht immer so deutlich ziehen, wie es zunächst den Anschein hat.

 

Transzendenz als erweiterter Bewußtseinszustand Begriffsdefinitionen

Suchterfahrung führt zwangsläufig immer zu einer beschränkten Wahrnehmung des eigenen Selbst, der Mitmenschen und der Welt. Die Folge ist ein eingeengter Bewußtseinszustand. Genau in die entgegengesetzte Richtung der durch Suchtverhalten ausgelösten Veränderungen tendieren die durch transzendente, ekstatische und mystische Erfahrungen ausgelösten Wahrnehmungs- und Bewußtseinswandlungen, die durch eine Erweiterung der Wahrnehmung und des Bewußtseinszustandes gekennzeichnet sind.

Das transzendente Erlebnis übersteigt die Grenzen der Erfahrung und des sinnlich Erkennbaren. Das Wort transzendent ist eine Zusammensetzung aus dem lateinischen Verb scandere "steigen, besteigen, zu etwas hinaufsteigen" und der Präposition trans "jenseits, über".

Transzendenz ist ein Prozeß vorübergehender Natur bei dem man weit über das Alltagsbewußtsein hinausgehen kann, doch der Zustand veränderten Bewußtseins ist dabei immer zeitlich begrenzt. Im Gegensatz dazu ist die Transformation, die Umwandlung, die Umgestaltung oder die Umformung eine dauerhafte Veränderung in den Strukturen und Funktionen des Bewußtseins.

Eine grenzenlose (religiöse) Verzückung im Zusammenklang mit der höchsten Begeisterung erlebt man im Zustand der Ekstase. Der Begriff Ekstase wurde im 16. Jahrhundert dem gleichbedeutenden kirchenlateinischen Wort ecstasis (griechisch ekstasiV [ékstasis] "das Aussichheraustreten,das Außersichgeraten, die Verzückung") entlehnt. Das Wort Ekstase fundiert in der griechische Präposition ex [ex] "aus, heraus" und dem griechischen Verb istanai [hístánai] "setzen, stellen, legen" respektive istastai [hístastai] "sich setzen, sich stellen, sich legen". Das entsprechende lateinische Verb heißt statuere, von dem die lateinischen Worte status "das Stehen, das Stillstehen" und statua "das Standbild, die Bildsäule" abgeleitet sind. Somit bedeutet Ekstase wörtlich ex-stasis – aus dem statischen Zustand, dem gewöhnlichen Bewußtseinszustand, herausgetreten sein.

Die Ekstase ist eine transzendente Erfahrung und von einer Entrückung des Geistes von allen Sinneseindrücken gekennzeichnet wie auch vom Fehlen des Gegensatzes der Außenwelt zum Ich. Der Ekstatiker erlebt ohne Gebrauch seiner Sinne die unmittelbare Verschmelzung mit dem Göttlichen und ist in der Ekstase eine Einheit mit der Gottheit.

Mystische Erfahrungen beflügeln das Bewußtsein, alle Dimensionen der Welt zu transzendieren. Seit der Welle der Mystik im antiken Griechenland im 6. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung erlebten die Eleusinischen Mysterien in Attika durch den Dionysoskult und den Orphischen Kult eine wahre Hochblüte. An den Zeremonien, den Orgien (von griechisch orgia [órgia], gleichbedeutend mit heiliger Handlung) durften nur Eingeweihte teilnehmen, denn die Mysterien waren Geheimkulte. Die ebenso geheime kultische Weihe nannte man musthrion [mystérion] und den speziell in die (Dionysischen) Eleusinischen Geheimlehren Eingeweihten nannte man musthV [mýstes], ein Name der von dem Verb muein [mýein] "einweihen (in die Mysterien), unterweisen, unterrichten" abgeleitet ist.

Der Mystiker schließt seine leiblichen und geistigen Augen für die Dinge der Sinnenwelt und für die Logik des Verstandes, während er sich unvorstellbaren und unfaßbaren Gewalten anvertraut und sich in Rausch der Ekstase mit dem höchsten Wesen jenseits von Sein und Nichtsein vereinigt.


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